Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
zweiten Vermittler, dessen Name im Brief geschwärzt worden ist, erst ganz kurz vor der Unterzeichnung auf Drängen von Ronsard und dem Premierminister, in den Vertrag eingefügt worden.«
»Das bedeutet: Wir müssen herausfinden, wo Hariri liegt.«
»Im Val-de-Grâce«, sagte der Kommissar. »Und ins Militärkrankenhaus kommt so jemand nur, wenn er über politische Protektion verfügt.«
»Dann müssen wir rausfinden, wer sich für Hariri eingesetzt hat.«
»Vielleicht Ronsard? Auch als ehemaliger Minister hat er noch großen Einfluss. Übrigens steht Hariri seit seiner Ankunft gestern früh unter Polizeischutz. Darum hat die marokkanische Botschaft gebeten. Er ist gestern Nacht noch operiert worden. Nichts Lebensbedrohliches, sagt der Arzt. Ein Bein sei aber fast völlig zerquetscht.«
»Gut. Hariri will ich heute noch sehen«, sagte Jacques, »wenn’s geht. Dann müssen wir das vollständige Original des TGV -Vertrags einsehen. Ich wende mich offiziell an das entsprechende Ministerium.«
»Da kenne ich schon die Antwort: secret défense – Militärgeheimnis. Das sagen die doch immer.«
»Mal sehen. Auf jeden Fall solltest du so schnell wie möglich eine Durchsuchung bei Ronsard durchführen. Und zwar gleichzeitig hier in seinem Abgeordnetenbüro in Paris und in seinem Privathaus in Fréjus an der Côte d’Azur. Wie viel Zeit brauchst du für die Vorbereitung? Ich unterzeichne die entsprechenden Papiere, sobald ich im Büro bin.«
»Hier in Paris ginge das noch heute. Aber ich muss eine Truppe nach Fréjus schicken. Selbst wenn wir ein Flugzeug anheuern, dauert das ’ne Weile, bis wir dort sind. Mein Vorschlag wäre: morgen früh um sechs.«
»Klingelt’s morgens früh um sechs, ist es nicht der Milchmann. Gilt der Spruch noch?«, fragte Jacques.
»Ja, blöder Spruch. Überholt, würde ich sagen.«
»Es gibt ja auch keine Milchmänner mehr. Aber gut. Mach das so, Jean. Morgen früh um sechs.«
»Willst du mitkommen?«
»Hier in Paris oder in Fréjus?«
»Ist egal. Ich lass mal rausfinden, wo sich Ronsard gerade aufhält. Dort leite ich die Durchsuchung persönlich.«
»Das bringt uns zu Hariri, Jean. Müssten wir uns nicht zur gleichen Zeit bei ihm umschauen?«
»Ja. Du hast recht. Das wird eine größere Operation. Ich hoffe, ich bekomme genügend Leute zusammen.«
»Du siehst müde aus«, sagte Martine, als Jacques in ihr Büro trat. »Betonmarie hätte gern einen Besuch von dir. Sie will auf dem Laufenden bleiben. Aber erst einmal mache ich dir mit unserer neuen Maschine einen Kaffee.«
»Einen Cappuccino bitte!«
Margaux hatte sich schon bei Martine erkundigt, wann Jacques ankommen würde. Er solle sich so schnell wie möglich melden.
»Ach, Margaux, die soll sich mal ein wenig gedulden. Wahrscheinlich will sie nur ein Zitat für den Aufmacher am nächsten Tag.«
Kaum hatte Jacques die Kurzwahltaste gedrückt, meldete sich Jérôme und brüllte ins Telefon, alles sei bestens und wann er heute Abend ins »Aux Folies« kommen könne. Jacques fragte nur, ob es was Neues gebe. »Überhaupt nicht«, war die Antwort.
Jacques konnte schneller als erwartet erledigen, was er sich vorgenommen hatte.
Zuerst hatte er das Video mit Kalilas Aussage angesehen. Als sie in Tränen ausbrach und das Bild des Vaters auf dem iPad küsste, schaltete er das Gerät sofort ab. Er hatte im Moment keinen Nerv für Gefühle.
Dann erhielt er die Nachricht vom Chefarzt des Val-de-Grâce, der Untersuchungsrichter könne Hariri frühestens am nächsten Nachmittag für eine halbe Stunde sprechen. Und das auch nur, wenn sich der Zustand des Patienten verbessere. Was zu erwarten war.
Betonmarie empfing den Untersuchungsrichter für knappe zwanzig Minuten, sie hatte es eilig. Ein Friseurtermin dränge, da sie am Abend zu einem Dîner mondain eingeladen sei.
Jacques verheimlichte ihr die für den nächsten Morgen um sechs Uhr geplante Durchsuchung bei Ronsard. Er hatte Angst, sie könnte es ausplaudern. Bei dem vornehmen Dîner en ville gab man gern mit geheimem Wissen an.
Und was war mit den Konten in Genf? Die Untersuchungsrichterin Françoise, die für einige Tage mit ihrer Jazztruppe zum Festival nach Montreux gefahren war, hatte für Jacques einen kurzen schriftlichen Bericht hinterlassen, den sie Martine nur unter der Bedingung gegeben hatte, dass sie das Papier in den Tresor einschließe. Dort lag schon die Kopie des anonymen Briefes an Margaux.
Das Nummernkonto gehörte dem ehemaligen Innenminister
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