Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)
jetzt, und ausgerechnet an diesen Ort. Das ist idiotisch.«
»Mieses Urteilsvermögen«, sagt Vienne und nickt beipflichtend.
Mit gedämpfter Stimme frage ich: »Es verstößt gegen die Richtlinien, einen anderen Regulator zu erschießen, richtig?«
»Genau darum will ich nie Chief werden«, sagt sie. »Ich hätte Ockham längst abgeknallt.«
»Ha!«, lache ich auf, und auch ihr gelingt es nicht, die versteinerte Miene beizubehalten. Für einen Moment beuge ich mich dicht zu ihr. Trotz allem hat Vienne etwas an sich, das mir Kraft gibt, auch wenn sie mein Innenleben in Wackelpudding verwandelt.
Bald geraten wir in wärmere Luft, die angefüllt ist mit Struvitstaub. Er fegt wie Puder um uns herum, und wir können nicht verhindern, ihn einzuatmen. Nicht lange, und wir alle haben braune Nasenlöcher, und unsere Lippen sind verklebt. Schon jetzt sehen wir selbst wie Minenarbeiter aus.
Vor uns weitet sich der Tunnel, sodass er Platz für mehrere Reihen kleiner Betonhäuser bietet. Hässlich. Zweckmäßig. Dieser Ort erinnert mich an den Norilsk Gulag.
»Ist das hier das Höllenkreuz?«, frage ich.
»Nein! Das Kreuz ist eleganter. Das hier nennt sich Crazy Town«, erklärt mir Spiner. »Hier haben früher die Arbeitssklaven gewohnt. Man hat sie zurückgelassen, als die Minen geschlossen wurden. Daraufhin sind sie verrückt geworden und haben alles niedergebrannt.«
Wir steigen aus dem Hunt und gehen schweigend durch Crazy Town. Hier riecht es dumpf nach trockenem Gips. Überall um uns her ist die Prachtstraße voller Schutt. Ausgebrannte Treibstofffässer liegen zwischen den Gebeinen alter Lastfahrzeuge. Ein Bulldozer. Ein Kleinbus. Die Gebäude sind nur noch verfallene Klötze mit zerbröckelnden Torbögen, verdorrten Gärten, ausgetrockneten Brunnen, zerbrochenen Fenstern und wackeligen Wänden, die von rostigen Bewehrungsstählen aufrecht gehalten werden.
»Spiner«, sage ich, »wo wollen wir eigentlich hin?«
»Hier herum«, antwortet er und biegt scharf nach rechts in pechschwarze Finsternis ab. Sekunden später flackert eine Stirnlampe auf. Der Lichtstrahl geistert über unsere Gesichter. »Dann kommt mal mit. Ihr habt doch keine Angst vor der Dunkelheit?«
Ich warte so lange, bis Mimi die Umgebung gescannt hat. Dann erteile ich den Befehl zum Aufbruch: »Regulatoren! Helmleuchten einschalten. Folgt dem Mann.«
»Jawohl, Chief«, antworten Vienne und Fuse im Chor.
»Siehst du, Schätzchen?«, sagt Fuse. »Wir ähneln uns schon wie ein Ei dem anderen.«
»Du kommst jedenfalls nicht in mein Nest.« Vienne versetzt ihm einen so derben Hieb, dass seine Panzerung aktiv wird. »Beim nächsten Mal fließt Blut.«
»Nette rechte Gerade«, kommentiert Fuse und schüttelt lachend seinen Arm aus, bis der verhärtete Ärmel sich wieder gelöst hat. »Falls es in der Truppe mal zu einem Freundschaftskampf kommen sollte, erinnere mich daran, dass ich an deiner Seite kämpfe.«
Zumindest nimmt er es nicht krumm, wenn er in den Hintern getreten wird, denke ich.
»Seine Panzerung sieht das anders«, sagt Mimi. »Die Nanobots, die das bioadaptive Gewebe kontrollieren, reagieren langsam auf den aversiven Stimulus. Sie sind keine harten Schläge gewohnt. Wie es scheint, ist Fuse kein kampferprobter Soldat.«
»Um darauf zu kommen, hätte ich keine KI gebraucht«, gebe ich zurück.
Während der nächsten paar Minuten führt Spiner uns durch einen höhlenartigen Raum. Jenkins gähnt und lehnt sich an eine Wand, woraufhin ein Staubregen niedergeht, der ihn vom Kopf bis zum Bauch einhüllt. Ruckartig richtet er sich wieder auf und klopft sich ab. »Zum Henker mit diesem Scheißstruvitstaub!«
»Was ist denn das für ein Tanz?«, fragt Fuse lachend.
Jenkins verharrt mitten in der Bewegung. »Häh? Tanz?« Er kneift die Augen zusammen. »Lach nicht über mich!« Er stürzt sich auf Fuse, und schon liefern sich die beiden eine Rauferei am Boden.
»Jungs!«, brülle ich. Sie hören auf, aber erst, nachdem sie sich noch ein paarmal gegenseitig geschubst haben. »Hör auf, ihn zu piesacken, Fuse. Und du, Jenkins, benimm dich.«
Dann fällt mir auf, dass Ockham das Geschehen verfolgt, die Arme vor der Brust verschränkt, beinahe so, als wolle er sich ein Urteil über die beiden bilden. Und über mich. Er schiebt Jean-Paul zu Spiner und lässt sich dann zurückfallen, um auf mich zu warten.
Na gut, denke ich. Du willst mit mir reden, also reden wir. »Hübsche Gegend hier, was?«, sage ich, als ich ihn eingeholt
Weitere Kostenlose Bücher