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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Mutter und sie nach ihrem analytischen Verstand. Jetzt war er in Berlin und sie war einsam.
    »Wie war das mit meinen E-Mails?«, fragte Kovacs.
    »Lies sie bitte.«
    »Warum?«
    »O Gott!« Sie verdrehte die Augen. Es habe mit Stephan Szigeti zu tun, sagte sie.
    »Mit dem Plastik-Typen?«, fragte er.
    »Jawohl, mit ihm.« Istvan Szigeti war 1956 im Bauch seiner Mutter aus Ungarn nach Österreich gekommen, als intrauteriner Immigrant, wie er zu sagen pflegte, war in Wien geboren worden und aufgewachsen, hatte Petrochemie studiert und sich als Universitätsassistent einige Jahre lang mit mehrfach halogenierten Polymeren beschäftigt. Schließlich war er nach einem Konflikt mit seinem Institutsvorstand von der Uni abgegangen, hatte Wien verlassen und im Gewerbegebiet von Furth eine leerstehende Lagerhalle angemietet. Eine Weile war gar nichts passiert, dann hatte er auf einem uralten Sattelschlepper Maschinen herangekarrt, keiner wusste, woher, eine Handvoll Hilfsarbeiter angeworben und nach einigen Monaten begonnen, Benzinkanister herzustellen. Inzwischen beschäftigte die Firma einhundertachtzig Leute und erzeugte Kunststoffgebinde jeglicher Art und Größe, von winzigen Fläschchen für Augentropfen bis hin zu Öltanks. Eine Art Tellerwäscherkarriere, so hieß es, ein erfolgreicher Mann jedenfalls, und dass er sich seit Firmengründung nicht mehr Istvan nannte, sondern Stephan, mit ph, nahm ihm keiner übel.
    Szigeti habe am frühen Abend des Vortages angerufen, erzählte Eleonore Bitterle. Er sei völlig außer sich gewesen. Sein Sohn sei geschlagen worden, in der Schule, ins Gesicht und auf den Rücken, man müsse sofort etwas tun. Von einem Schüler oder von einem Lehrer, habe sie gefragt, er habe gesagt, weder noch, sie habe gefragt, ob vielleicht vom Schulwart, da habe er zu brüllen begonnen. Man nehme ihn nicht ernst, der impertinente lasche Zynismus in diesem Land mache ihn fertig, er wolle sofort mit ihrem Vorgesetzten sprechen – das Übliche halt. Mit viel Geduld habe sie den Mann beruhigt und schließlich aus ihm herausbekommen, dass der Vorfall zwar im Rahmen des Unterrichtes stattgefunden habe, der Ort sich jedoch nicht eingrenzen lasse, vermutlich irgendwo zwischen der Klasse und dem Haus der Szigetis, und dass der Knabe selbst nichts gesagt habe, außer dass es etwas Schwarzes gewesen sei, das ihn geschlagen habe. Nein, verletzt sei er nicht, körperlich jedenfalls, er hocke in seinem Zimmer auf dem Boden, verstört und verstockt, und drücke auf seinem Gameboy herum. Sie habe gesagt, sie wisse nicht, ob das überhaupt ein Fall für die Kriminalpolizei sei, und er habe gesagt, er wisse das schon, er bestehe auf einer Befragung seines Sohnes und er erstatte in jedem Fall Anzeige gegen Unbekannt. Sie habe zur Sicherheit schon mit Raffael Horn gesprochen und ihn um fachliche Assistenz gebeten, damit es später nicht wieder heiße, die Polizei sei zu nichts anderem imstande, als Kinder zu retraumatisieren.
    Eleonore Bitterle stand da, in Stoffhose mit Bügelfalte und weißer Langarmbluse, und war wieder einmal die Umsicht in Person. Rein theoretisch wäre sie ein Segen für jeden Mann, dachte Kovacs, rein praktisch ist sie ein Segen für mich. Er nippte an seinem Kaffee.
    »Und was hat das alles mit meinen E-Mails zu tun?«
    »Szigeti hat es schriftlich geschickt, in vier Varianten, eine ausführlicher als die andere; an mich, an dich und an Eyltz.«
    »An Eyltz?«
    »Dinge, die man an den Polizeichef schickt, werden unter Garantie eher behandelt als andere – da denkt er schon richtig. Vielleicht geht er auch auf die Jagd mit ihm.«
    Nicht alle Männer gehen auf die Jagd, dachte Kovacs, manche gehen fischen. Er blickte kurz in Eleonore Bitterles grüne Augen und war im selben Moment absolut sicher, dass es sie nicht im mindesten interessierte, was er vor einer Stunde gefangen hatte, einen Döbel, eine Forelle oder einen Hai. Philipp Eyltz, der Polizeipräsident der Stadt, trug dunkelblaue Blazer mit Goldknöpfen, rahmengenähte Schuhe und einen Siegelring mit Familienwappen. Er brüstete sich regelmäßig mit der Sammlung handziselierter Jagdgewehre, die er zu Hause hängen hatte, wurde aber nur dann tatsächlich auf der Jagd gesehen, wenn sich zumindest ein Pressefotograf in Reichweite befand.
    »Und was sagt Eyltz?«, fragte Kovacs. »Vorreihen«, sagte Bitterle. Natürlich. Da bekam einer dieser verwöhnten Promi-Fratzen, was er vermutlich längst verdient hatte, eine Ohrfeige nämlich, und

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