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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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schon wurde von oben hineininterveniert. Kovacs merkte, wie er zornig wurde. Sie fiel ihm abrupt ins Wort. »Überleg dir, was du sagst – ich bin absolut dagegen, dass Kinder geschlagen werden.« Kovacs atmete tief durch, lehnte sich zurück und hob beschwichtigend die Hände. »Außerdem ist der Knabe nicht einmal sieben«, sagte sie. Meine Tochter ist sechzehn, dachte er, und ich hatte in den letzten fünf Jahren vielleicht zweimal die Gelegenheit, ihr eine Ohrfeige zu geben, rein theoretisch.
    Draußen wurde die Eingangstür aufgestoßen, dann war ein heftiges Wortgefecht zu hören. »Wen bringt Sabine heute mit?«, fragte Kovacs. Bitterle legte den Kopf in den Nacken, warf einen Blick auf den Gang hinaus und konnte gerade noch einen Schritt zurück tun, da stand in seiner ganzen Fülle Mauritz in der Tür. »Ich mache das nicht!«, brüllte er mit hochrotem Kopf, »ich denke nicht daran!« »Die Spurensicherung bockt«, sagte Kovacs, »was soll ich davon halten?« George Demski habe ihm eine Anweisung hinterlassen, schriftlich, was er an und für sich schon als Frechheit empfinde, erzählte Mauritz, »und dann noch das!« »Dann noch was?«, fragte Kovacs. »Weghaupt«, zischte Sabine Wieck hinter Mauritz hervor und zog eine Grimasse. Er kenne sich nicht aus, sagte Kovacs, Weghaupt sei gestürzt oder gestoßen worden, das sei die einzige Frage. Eben, ereiferte sich Mauritz, trotz einer eingehenden Erstaufnahme des Tatortes samt Fotos von allen Seiten habe nun Demski das Baugerüst sperren lassen und die Spurensicherung angewiesen, sich der Sache noch einmal anzunehmen. »Und?«, fragte Kovacs. »Ich mache das nicht«, brüllte Mauritz, »ich gehe da nicht hinauf!« »Ein Problem der Körpermasse?«, fragte Kovacs. Mauritz antwortete nicht.
    »Oder der Koordination?« Sabine Wieck legte im Hintergrund die Hand vor ihre Augen. »Höhenangst?«, fragte Eleonore Bitterle nach einer Weile. »Jawohl, schaut nicht so blöd!« Er leide darunter von Kindheit an, sagte Mauritz, es sei auch schon viel besser geworden, aber Baugerüste und Kirchtürme schaffe er immer noch nicht, sie sollten bitteschön nicht so tun, als hätten sie noch nie davon gehört. »Der Hitchcock-Film, in dem James Stewart am Schluss auf den Turm klettert«, sagte Kovacs.
    »Vertigo.«
    »Unten auf dem Dach liegt eine Blondine.«
    »Kim Novak.«
    »Ist sie tot?«
    »Natürlich ist sie tot.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Ich bin eine alleinstehende Frau, der manchmal fad ist«, sagte Eleonore Bitterle, »dann schaue ich alte Filme, die schlecht ausgehen.« Wenn einem der Mann, den man liebt, an Knochenkrebs stirbt, neigt man vermutlich dazu, alte Filme zu schauen, die schlecht ausgehen, dachte Kovacs. Ob es am Tatort irgendeinen Hinweis auf Fremdverschulden gegeben habe, fragte er. So gut wie nichts, antwortete Mauritz. So gut wie sei Kacke, sagte Kovacs, und Mauritz darauf, also, es habe keinen Hinweis gegeben, keine Spuren einer körperlichen Auseinandersetzung, nicht die Fußabdrücke einer zweiten Person. »Hat man genau geschaut?«, fragte Kovacs. Mauritz biss sich demonstrativ in die Fingerknöchel. »Ruhig bleiben«, sagte Kovacs, »ich weiß schon, du warst nicht dort.« Es gab Dinge, die musste man selbst machen, wenn man Sicherheit haben wollte. Außerdem hatte er definitiv keine Höhenangst. Er stand auf und schob seinen Schreibtischstuhl an die Wand. »Was tust du?«, fragte Mauritz. »Ich gehe«, sagte Kovacs.
    »Sind wir so arg?«
    »Ja.«
    »Sei nicht blöd. Was tust du wirklich?«
    »Ich steige aufs Gerüst. Irgendeiner muss es ja tun.«
    »Aber du bist nicht die Spurensicherung.«
    Kovacs sagte nichts. Ich bin der Chef einer Spurensicherung mit Höhenangst, dachte er, außerdem, dass Demski wohl wieder einmal seinem grenzenlosen Absicherungsbedürfnis gefolgt war, als er den Tatort hatte sperren lassen, und in Wahrheit alles war, wie es schien: gestolpert, ausgerutscht und fertig. An Mauritz hatte er unter Garantie nicht gedacht. Er schlüpfte in seine Jacke. Im Hinausgehen wandte er sich noch einmal an Bitterle. »Was hat Szigeti über seinen Sohn gesagt?«, fragte er, »wie hockt er auf dem Boden? Verstört und bockig?« »Verstockt«, sagte Bitterle, »nicht bockig. Verstört und verstockt.«
    »Verstört und verstockt«, wiederholte Kovacs. Er dachte an Charlotte. Kinder waren furchtbar, egal, ob sie sechs waren oder sechzehn.
     

Vier
    Ich habe eine Schwester. Ich habe gefragt, wie alt sie ist, und man hat mir

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