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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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und alles wird erträglich«, sagt er.
    Sie nickt. Oder du legst dich mit einem Benediktinerpater ins Bett, der zertifiziertermaßen einen höhergradigen Hau hat, denkt sie.
    Sie erinnert sich, wie alles begonnen hat, letzten September, wie sie mit ihrer Kollegin Ursula Leeb im Lehrerzimmer steht und sich verschiedene Dinge erklären lässt und total aufmerksam ist, weil sie sich noch nicht auskennt, und wie fünf vor acht dieser Mönch hereinstürmt und laut Dies irae singt und erklärt, Schulanfang sei zwangsläufig ein Tag des Zornes. Sie erinnert sich, wie Ursula meint, man brauche sich nicht zu fürchten, er habe so seine Phasen, und wie er drei, vier Runden dreht, dabei abwechselnd singt und die Kollegen begrüßt. Bei ihr hält er an, blickt ihr für eine Sekunde in die Augen und sagt: »Eine Neue.« Er geht weiter und sie ist erleichtert wie nach einer ärztlichen Untersuchung, die sich als harmloser herausstellt als befürchtet. Als sie sich kurze Zeit später auf den Weg in ihre Klasse macht, steht er auf dem Gang und wartet. »Ich bin für alle da, die Hilfe brauchen«, sagt er. Sie ist noch imstande, zu fragen, wie er denn auf die Idee komme, dass sie Hilfe brauche. Er sagt, das sei keine Kunst, zuvor sei ihr der Pulloverärmel hochgerutscht, dadurch sei er darauf gekommen. Sie starrt auf ihre Unterarme und spürt jetzt, wie ihr das Blut ins Gesicht schießt. Kurze Zeit später erzählt sie ihm die ganze Geschichte.
    »Wer weiß eigentlich inzwischen von uns?«, fragt sie. »Mein Psychiater«, sagt er.
    »Und sonst?«
    »Keine Ahnung. Ich glaube, niemand.«
    »Wie soll das gehen? Der Abt, zum Beispiel? Oder deine Kollegen. Jedes Mal, wenn du bei mir bist, fehlst du am Morgen beim Chorgebet.«
    »Ich habe auch gefehlt, als ich noch nicht bei dir war.«
    Sie glaubt ihm aufs Wort und sie glaubt ihm auch, dass ihm die anderen Patres seine Beziehung zu ihr nicht neiden. Jeder habe so seine Kontakte, hat er erzählt, manche eher zu Frauen, manche zu Männern. Einige haben Kinder. Der Orden zahlt, was sonst. Er holt sich mit einem Stück Weißbrot den letzten Rest Hüttenkäse aus der Dose. Sie denkt, dass er in diesen Momenten völlig ruhig und geordnet wirkt. Irgendwann wird sie ihn fragen, ob er selbst gern ein Kind hätte, ein eigenes.
     
    Der Bus ist halbleer. Sie sind früher dran als sonst. Es ist ihr egal, dass sie die Leute zusammen sehen. Junge Lehrerin verführt Benediktinerpater, denkt sie; dabei stimmt es gar nicht. Sie setzen sich in eine der hinteren Reihen. Er kramt in seiner Tasche und summt dabei. Sie packt ihn am Oberarm. »Das hast du doch vor ein paar Tagen gesungen, als wir uns in der Klasse in die Wolle geraten sind, kannst du dich erinnern?« Er schaut verwirrt.
    »Als Felix weg war.«
    »Stimmt.« Er zieht den iPod hervor, drückt ihr die Stöpsel in die Ohren, sucht ein wenig herum und dreht dann auf.
    Spirit on the water, darkness on the face of the deep, I keep thinking about you baby, I can’t hardly sleep.
    »Wer ist das?«, fragt sie. »Gott«, sagt er, »His Holy Bobness.«
    »Entschuldige, war eine blöde Frage.«
    » Modern Times «, sagt er, »sein vorletztes Album.«
    Gottes vorletztes Album, denkt sie, er spinnt auf hohem Niveau. Er stupst sie in die Seite. »Warum grinst du?«
    »Jetzt hast du mich beim Zuhören gestört«, beschwert sie sich, »da war irgendwas mit pain.« Er zieht ihr abrupt die Stöpsel aus den Ohren und verstaut den iPod in der Tasche. Sie weiß, dass es keinen Sinn hat, nachzufragen, was er denn plötzlich habe. Er kippt von Kanten, denkt sie, er stürzt in Abgründe und er friert ein, von einer Sekunde auf die andere. Davor rettet ihn niemand.
    Sie fahren über die Severinbrücke, danach in einer nach Westen gerichteten Schleife über die Waldzeller Straße, den Rohrweg und die Seestraße zurück zum Rathausplatz. Er blickt die ganze Zeit aus dem Fenster und schweigt. Unmittelbar nach dem Aussteigen hält sie ihn am Jackenärmel zurück. »Wie heißen die Mönche mit dem Schweigegelübde?«, fragt sie. Er dreht sich zu ihr. »Trappisten und Kartäuser«, sagt er halblaut. Dann beginnt er zu lachen. Er tut mir gut, denkt sie, er tut mir so gut.
     
    Sie stehen auf dem weiten Platz vor dem Stift. Oben auf der Begrenzungsmauer zum ersten Garten dreht sich eine Taube im Kreis. »Ich höre es mir ein andermal an«, wehrt sie ab, als er die Tasche noch einmal aufklappt. Er schüttelt den Kopf. Nein, nicht den iPod, er habe vergessen, ihr etwas zu

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