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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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zeigen, eine Zeichnung aus der letzten Stunde mit ihrer Klasse.
    Eine einzelne dunkle Welle mit einer Kugel drauf, denkt sie, als sie das Blatt betrachtet, eine Art Gauß’sche Normalverteilungskurve, vielleicht auch jemand in einem Umhang, der die Arme schräg zur Seite streckt. Die Aufgabe sei es gewesen, sagt er, etwas zu zeichnen, das mit Ostern zu tun habe, schließlich komme Ostern demnächst. Die meisten hätten Hasen oder Eier abgeliefert, ganz seiner Erwartung entsprechend, nur Britta nicht. Britta?, fragt sie, und er sagt, ja, Britta, so heiße doch dieses dünne blonde Mädchen, das seinen Platz ganz links in der ersten Reihe habe und am allerliebsten von seinen Meerschweinchen erzähle. Sie sei erst eine Weile bewegungslos dagesessen, nach vorn gebeugt und starr, und als er zu ihr gesagt habe: Vielleicht ein Huhn?, habe sie wortlos den Kopf geschüttelt. Am Ende habe sie plötzlich nach einer dicken Wachsmalkreide gegriffen und ruckzuck das hier gezeichnet, geschwind und mit viel Kraft.
    Sie zieht die Stirne kraus. »Ein Meerschweinchen ist das nicht«, sagt sie nach einer Weile. Nein, antwortet er, er habe Britta auch gefragt, was diese Kurve denn darstelle, und sie habe gesagt: Eine Glocke, eine schwarze Glocke, ganz ohne Zögern, und im selben Moment sei ihm klar gewesen, dass es tatsächlich nichts anderes sein könne. Eine Osterglocke dürfe auch einmal schwarz sein. »Sie hat sicher nicht Glocke gesagt«, sagt sie, »sondern Dlocke, dwarze Dlocke. Glocke kann sie nicht, obwohl sie zweimal pro Woche zur Logopädin geht.« »Du bist so etwas von genau«, sagt er, »manchmal ist mir das unheimlich.« Es stimme natürlich, die Kleine habe nicht Glocke gesagt, sondern Dlocke oder vielleicht Slocke, wie es halt ihr Sprachfehler zulasse, aber erstens liege auf der Hand, dass es sich um eine Glocke handle, und zweitens sei das nicht so wichtig.
    »Sondern?«, fragt sie.
    Sie habe es von Felix gehört, da sei er ganz sicher, sagt er, ansonsten ergebe, was sie noch gesagt habe, keinen Sinn. »Was ergibt keinen Sinn?«, fragt sie, »was hat sie noch gesagt?« Dass sie auf den Rücken geschlagen worden sei, sagt er, auf die Schultern und auf den Kopf. Die schwarze Glocke habe dazu einen Stock benutzt.
     

Sechs
    Es sind die Kleinigkeiten, dachte Horn, es sind die Dinge, von denen man meinen sollte, dass sie gar nichts bedeuten. Namen, die du vergisst, neue Pullover, die du nicht ausreichend würdigst, das Schritttempo, das du zu wenig anpasst. Manchmal nur Eigenschaftswörter, die du weglässt: wunderbar, umsichtig, ergreifend . Oder eben die Semmeln, die einzukaufen ich wieder einmal vergessen habe, dachte er. Ich sinke nicht sofort zerknirscht aufs Knie und schon ist die Sache gelaufen. Am Ende brüllt sie mich an und ich werfe ihr all die Dinge vor, die ich ihr immer schon vorwerfen wollte.
    Er war zehn Minuten früher weggefahren als sonst, zornbebend und ohne Frühstück. Übrigens könne er sich seine Idee, im Sommer nach Schottland zu fahren, er wisse schon, wohin, schieben, hatte sie ihm noch nachgerufen – Islay und Skye und die Highlands, das sei sowieso nichts anderes als eine verkappte Sauftour, also bitteschön ohne sie. Gut, ohne dich, hatte er geantwortet und die Autotür hinter sich zugeknallt. Seither ging ihm die Vorstellung nicht aus dem Kopf, wie Irene auf einer dieser Malediveninseln erst zwischen Mantas und Igelfischen tauchte und danach in ihrem klimatisierten Bungalow auf einem blütengeschmückten Bett Sex hatte, beides mit einem dunkelhaarigen, etwas zu klein geratenen Tenor, der eine italienische Großmutter besaß und Speck an den Hüften. Gut, wenn sie es so wollte!
    Er blickte sich um. Der Besprechungsraum füllte sich langsam. Hrachovec saß rechts von ihm und schmierte Marillenmarmelade auf ein Croissant. Er wirkte ausgeglichen, aber das tat er immer, seit er die Assistentenstelle bekommen hatte. Natalie Bernert, die Ergotherapeutin, reckte ihren endlos langen Hals über den Tisch und tratschte mit Renate Mutz, der Sozialarbeiterin. Das taten die beiden auch immer. Lisbeth Schalk trug eine neue, dottergelbe Jacke von Moncler und brauchte zwei Sekunden länger als sonst, um sich hinzusetzen. Günther und Vessy wirkten müde, aber das stand ihnen nach einem Nachtdienst auch zu. Am Schluss kam Leonie Wittmann durch die Tür, Ringe um die Augen, die Hände zu Fäusten geballt. Sie ließ sich neben Horn in den Sessel fallen. Zwei wütende Frauen an einem Morgen, wie

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