Das Matrazenhaus
Wiedersehen, Herr Fehring«, sagte Herbert und ging aus dem Zimmer. Horn fiel plötzlich ein, was Sabrina über Schmerzmittel gesagt hatte, und er fragte sich, wie viel er von dem, was an der Abteilung lief, tatsächlich mitbekam.
Fehring stand mit erhobenen Armen da. Man könne ihn gerne durchsuchen, sein Gepäck, seine Kleidung, er habe nichts bei sich, kein Stäubchen, und was der Pfleger behauptet habe, empöre ihn außerordentlich. Man wisse doch, dass er noch nie etwas importiert habe, und wenn er nie sage, meine er auch nie. »Werden Sie abgeholt?«, fragte Horn. Ja, sagte Fehring, seine Freundin müsse jeden Augenblick da sein. Horn streckte ihm die Hand hin. Ich möchte ihn nie wieder sehen, dachte er, und wenn ich nie sage, meine ich es auch.
Friedrich Helm, der Gerichtsdiener mit der manisch-depressiven Krankheit, erholte sich zusehends von seiner Lithium-Überdosierung und würde, wenn man den aktuellen Laborwerten glaubte, keine Nierenschädigung davontragen. Frau Hrstic und Frau Steininger beschuldigten einander des Zeitungsdiebstahls wie jeden Tag. Frau Hrstic nannte Frau Steininger dabei korrekterweise Anna, Letztere stritt es ab, so zu heißen. Beides war neu. Da Christina ihren strengen Stationsschwesternblick in die Runde warf, erzählte niemand einen Alzheimer-Witz. Die sozialphobische Erika Ressel, eine Floristin mit Hang zur Esoterik, berichtete, sie mache in ihrem Expositionsprogramm unglaubliche Fortschritte. Zuletzt sei sie mit Lisbeth Schalk sogar in der Piccola Cucina gesessen, inmitten von fremden Menschen, und habe eine Cassata gegessen. Eine Cassata?, fragte Horn und Frau Ressel sagte, ja, eine Cassata. Frau Magister Schalk habe übrigens ein Zitroneneis mit Prosecco und Minze genommen, zur Feier des ersten warmen Frühlingstags. Lisbeth Schalk lief rot an und zum Glück sagte in diesem Augenblick niemand etwas über Prosecco im Dienst, nicht einmal Herbert.
»Willst du diesen Marcus sehen, auch wenn er schläft?«, fragte Leonie Wittmannn an der Abschnittstür zum geschlossenen Bereich. Raffael Horn nickte. Es gebe kaum etwas Wohltuenderes als einen schlafenden Suizidanten, sagte er, und Hrachovec sagte, das finde er auch.
Der junge Mann lag auf dem Rücken im Bett, schmächtig, dunkelhaarig mit schütterem, weichem Bart. Die Strangmarke war als fingerbreiter violetter Streifen an der gesamten Vorderseite des Halses zu sehen. »Er sieht aus wie der junge Dustin Hoffmann«, sagte Raimund halblaut. Horn überlegte, aber es fiel ihm kein Film mit dem jungen Dustin Hoffmann ein. »Die Reifeprüfung«, sagte Raimund und grinste. Streber, dachte Horn, Hauptsache, er sieht nicht aus wie Tobias, dachte Horn, Hauptsache, jemand, der versucht, sich aufzuhängen, sieht nicht aus wie einer meiner beiden Söhne. »Wer ist die Frau?«, fragte Hrachovec. Horn begriff nicht gleich. »Welche Frau?« »Anne Bancroft«, sagte Raimund, »die Verführerin mit dem breiten Maul.« Leonie Wittmann warf ihm einen giftigen Blick zu. Er schien ihn nicht zu registrieren.
Über dem Stuhl hing eine schwarze Lederjacke mit Nietenbund, daneben lehnte ein Gitarrenkoffer. »Hat er den zur Aufnahme mitgebracht?«, fragte Horn. Nein, sagte Christina, den habe ein Freund von ihm zeitig in der Früh an die Station geliefert. Der Bursche sei plötzlich dagestanden, unfrisiert, in einer grellgrünen Trainingsjacke, habe den Koffer abgestellt und gesagt, das Ding habe seinen natürlichen Platz bei Marcus, aus Maus; er selbst sei übrigens der Drummer. »Der was?«, fragte Hrachovec. »Sie spielen in einer Band«, sagte Herbert. Er war dabei, den Koffer zu öffnen, und plagte sich mit den Verschlüssen. Nach einer Weile klappte der Deckel hoch und gab den Blick auf eine rotbraun glänzende Elektrogitarre frei. Herbert trat ehrfurchtsvoll einen Schritt zurück. Eine Dark Fire , sagte er, das neueste Modell von Gibson, erstens elektronisch ein ziemliches Zauberding, zweitens, was jeder sehen könne, einfach wunderschön. Raimund zupfte an einer der Saiten. »Und weshalb, bitte sehr, hat ein Beinaheselbstmörder eine Gitarre neben seinem Bett stehen?«, fragte er. »Weil sie alles ist, was er hat«, sagte Herbert und packte Raimund am Unterarm, »verstehst du – alles!« Er spielt selbst, dachte Horn, oder er hat gespielt, in einer Band, vielleicht mit einundzwanzig. Dieser mächtige, tolpatschige Mann, der Scherze mit Plüschhasen machte, war plötzlich von innerem Feuer durchglüht wie sonst nie. Horn dachte
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