Das Matrazenhaus
wie die Tochter von Isabelle Huppert, dachte Horn, rothaarig mit wilden Sommersprossen. »Schmerzmittel?«, fragte er. »Ja, es tut nämlich weh, wenn man sich schneidet.« Von den Schwestern und Ärzten habe sie noch nie etwas Vernünftiges gegen die Schmerzen bekommen, außerdem gehe es ihr auf die Nerven, andauernd betteln zu müssen. »Was hörst du da?«, fragte Horn. »Meine Musik«, sagte sie, streckte sich auf dem Bett aus und schloss die Augen. Horn sah im Augenwinkel, wie Christina neben ihm die Fäuste ballte. »Gibt es schon Reaktionen auf deine Fotos?«, fragte er. Sabrina antwortete nicht. »Ein paar von ihnen sind unscharf«, sagte Raimund. Ein kurzes Zucken durchlief die Arme des Mädchens.
»Und die Komposition ist schlecht.«
Etwas geht mit ihm durch, dachte Horn, doch bevor er reagieren konnte, hatte Leonie Wittmann Raimund am Shirt gepackt und zerrte ihn aus dem Zimmer. Sabrina lag da und hatte keine Miene verzogen. Horn fragte, ob sie das Neuroleptikum vertrage, das ihr vor einigen Tagen verordnet worden war, ferner, ob sie nach wie vor keinen Besuch von ihren Eltern wolle. Er erhielt keine Antwort. »Du siehst aus wie die Tochter von Isabelle Huppert«, sagte er. Dann verließ er den Raum.
Leonie Wittmann lehnte an der Wand und klopfte mit den Fingerkuppen gegen ihre Stirn. »Was hast du mit Raimund gemacht?«, fragte Horn. »Rauchen geschickt«, sagte sie, »wir müssen aufpassen.«
»Aufpassen, worauf?«
Ihrem Eindruck nach sei das eine typische Schlüssel-Schloss-Konstellation; Raimund hasse Sabrina, parallel dazu sei er ihr völlig verfallen, und das Mädchen spüre das mit jeder Faser. »Wir müssen ihn von ihr fernhalten«, sagte sie, »er verliert innerhalb von Sekunden die Kontrolle.« Horn nickte und dachte an die Art, in der Raimund von sich als Profi gesprochen hatte, voller Wut und Gier zugleich. Es stimmt, was die Göre ins Netz gestellt hat, dachte er, es stimmt hundertprozentig. Und er dachte, dass es Dinge gab, die einen geil machten, auch wenn man es nicht wollte; für Raimund gab es sie, für Lisbeth Schalk, für ihn selbst und vielleicht sogar für Leonie Wittmann.
»Wer nimmt sie in Therapie?«, fragte Horn. »Ich«, sagte Leonie Wittmann und lächelte schief, »wer sonst?«
»Stimmt. Wer sonst? Aber trotzdem: warum du?«
»Mich lässt sie kalt. Darum.«
Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag, dachte Horn. Viermal die Woche nimmt sie fünfzig Minuten lang auf, was dieses zerstörte Wesen an Wut, Verzweiflung und Bösartigkeit ablädt, eine Art säureresistenter Müllcontainer. Am Mittwoch fährt sie dann durch die Waschstraße und ist wieder für einen Moment, was sie im Allgemeinen ist, blass, blond und sauber. Manchmal möchte ich sie umarmen, dachte Horn, ganz eng, um zu wissen, wie sie riecht, und manchmal möchte ich mit der flachen Hand von oben nach unten über ihren Rücken streichen und über ihren Po. Leonie Wittmann sah ihn an, ein wenig skeptisch wie immer, doch er hatte diesmal nicht vor sich hin gesprochen.
Der Sonnenschein änderte nichts daran, dass es Augenblicke gab, in denen Horn besonders genau wusste, warum er Junkies nicht mochte. Fehring saß neben der gepackten Tasche auf seinem Bett und strahlte. Diesmal habe er es geschafft, sagte er, er spüre das. Er fühle sich durch und durch wie ein neuer Mensch. Seine Freundin habe das schon am Vortag wahrgenommen. Es gehe plötzlich eine Kraft von ihm aus, die zuvor nicht da gewesen sei, habe sie gesagt, etwas ganz Starkes, eine Art göttliche Energie. Das Leben bestehe aus Episoden, guten und schlechten, und diesmal habe er eine schlechte hinter sich gelassen. Ich lasse einen Spiegel holen, damit er die göttliche Kraft sieht, die von ihm ausgeht, dachte Horn, von seinen Spinnenfingern, von seinem desolaten Gebiss und von diesen trüben Augen, die in ihren Höhlen herumzucken wie zwei Kaulquappen.
»Wir auch«, sagte Herbert unvermittelt von hinten, »wir lassen auch eine schlechte Episode hinter uns.«
Fehring stutzte und lächelte verlegen. »Was heißt das?« »Sie wissen es genau«, sagte Herbert.
»Was weiß ich genau?«
»Sie haben hier Ihr Zeug verklopft. Das wissen Sie.«
Fehring sprang auf und starrte Herbert an. »Wer behauptet das?«
»Ihre Kunden. Mehrere.«
»Beweisen Sie es!«
Herbert deutete auf Fehrings Tasche. »Kann ich nicht. Der Bauchladen ist mit Sicherheit leer.« »Na eben«, zischte Fehring, »nichts können Sie beweisen, Sie Nazi!« »Für Sie bin ich das gern. Auf
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