Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
die Berge wunderbar. Vielleicht fahre ich selbst, dachte Horn. »Ich überlege es mir auch«, sagte Lisbeth Schalk und öffnete ihr Moncler-Jäckchen. Horn erschrak. Schon wieder, dachte er, und ich merke es nicht. Vor vier, fünf Jahren hatte ihn Irene erstmals darauf aufmerksam gemacht, dass er laut vor sich hin sprach. Wie ein Kind, hatte sie gesagt, oder wie ein alter Mann, und ihm war bald klar gewesen, dass es mit dem bevorstehenden Auszug Michaels zu tun hatte, den sie herbeisehnte und er ganz und gar nicht. Es ist immer dasselbe,dachte er, wenn mich etwas anspannt, werden meine Gedanken laut, ganz egal, ob ich weiß, was es ist, oder nicht. Um sich abzulenken, starrte er auf Lisbeth Schalks Top: ein Streifen Kornblumenblau mitten im Gelb. Er stellte sich vor, wie es wäre, mit ihr nach Innsbruck zu fahren und dort die Vorträge zu schwänzen. Zuerst würden sie Hand in Hand durch Wiesen streifen und dann würde er sie im Hotel knallen. Er hielt sich zwei Finger vor den Mund, zur Sicherheit.
     
    Andrea Emler, die Sekretärin, hatte ein Foto ihrer Tochter im Erstkommunionkleid auf dem Schreibtisch stehen. Horn war verwirrt und fragte sich kurz, ob jetzt auch noch sein Gedächtnis aussetzte. Andrea lachte verlegen. Sie wisse, dass das Fest erst in sechs Wochen stattfinde und sie selbst ein wenig neurotisch sei, aber sie habe gefürchtet, später würden alle einigermaßen schönen Kleider ausverkauft sein, daher habe sie jetzt schon zugeschlagen. Ihrer Tochter sei das sehr recht gewesen, und man habe sie der Einfachheit halber auch gleich fotografiert. Das Mädchen sah aus wie die Mutter, klein, blond und gesund, im Gesicht Entschlossenheit und eine Spur von Misstrauen. In der rechten Hand hielt es die Taufkerze, in der linken ein Weidenkörbchen mit gelben und weißen Blumen. »Sehr hübsch«, sagte Horn. Er dachte an seine eigene Erstkommunion, damals in der sonnendurchfluteten Dorfkirche, und daran, dass alle sagten, Tobias sei ihm so ähnlich, groß, schlaksig und ein wenig disproportioniert, wohingegen Michael aussehe wie Irene. Trotzdem hatten die beiden seit Jahren ihr Problem und trotzdem fragte er sich manchmal, ob Tobias tatsächlich von ihm war oder nicht vielleicht doch zum Beispiel von einem Tenor. Andrea Emler lachte auf. Horn erschrak. Sie legte ihre Hand auf seinen Oberarm und deutete zum Türspalt, aus dem sich im selben Augenblick ein weißer Plüschhase zurückzog. »Es ist Herbert«, sagte sie, »er ist dermaßen kindisch.« Herbert war ein mächtiger, teddybärhafter Krankenpfleger, der früher einmal Koch gelernt hatte. Er steht auf sie wie ein Pubertierender und sie lacht wie ein zwölfjähriges Mädchen, dachte Horn, das sind die Dinge, die mich beruhigen.
    Er ließ sich den Tagesplan zeigen. Visite, Therapeutenbesprechung, zwei ambulante Patienten. Unspektakulär und überschaubar. Irgendwas fehlte. Er kam nicht drauf.
     
    Sie gingen bis ans Ende der Station. Bevor sie sich nach rechts zum ersten Krankenzimmer wandten, blieben sie an der großflächigen Gangverglasung stehen und blickten hinaus über den Fluss und die Stadt. » Einer flog über das Kuckucksnest «, sagte Raimund. »Wie bitte?«, fragte Christina, und er sagte, es sei ihm soeben vorgekommen, als spielten sie alle in diesem Film mit, eine Gruppe von Narren, die den Gang entlanggehen, und am Ende stehen sie stumm vor einer Panzerglasscheibe und starren in die Wolken. Christina blickte gegen den Plafond, Raimund sagte, sie könne ruhig die Augen verdrehen, es ändere nichts daran, dass in diesem Film die Stationsschwester die wirklich Böse sei, und Herbert tippte sich an die Stirn.
    »Schaffen Sie das?«, fragte Horn, während er die Hand auf die Klinke legte. Raimund blickte ihn verständnislos an.
    »Schaffe ich was?«
    »Da drinnen wartet eine junge Dame darauf, dass Sie die Fassung verlieren.«
    Raimund versuchte zu grinsen. Wenn er, Horn, die Sache mit dem Internet meine, könne er ganz beruhigt sein, so viel Profi sei er schon. »Wollen Sie es ansprechen?«, fragte Horn. Raimund schüttelte den Kopf. »Reden ist Silber«, sagte er.
    Sabrina saß mit angezogenen Knien auf dem Bett und hörte Musik. »Wo ist deine Zimmerkollegin?«, fragte Horn. Das Mädchen wandte sich wortlos ab. »Gut, dann nicht«, sagte Horn und schickte sich an, wieder rauszugehen.
    »Ich habe sie einkaufen geschickt.« Sie zog sich einen der weißen Stöpsel aus dem Ohr.
    »Einkaufen?«
    »Rasierklingen und Schmerzmittel.«
    Sie sieht aus

Weitere Kostenlose Bücher