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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Karpfen aus Beton als Wasserspeier.
    Die Frau, die öffnete, hielt einen Schuhlöffel in der Hand. Kovacs starrte ihn verblüfft an. Für einen Augenblick entstand eine bizarre Lähmung zwischen den beiden. Dann sagte die Frau: »Nein, ich gehe nicht weg. Ich räume auf.« Sie trat einen Schritt zurück. Im Grund räume sie seit dem Unfall die ganze Zeit nur noch auf, sagte sie, Arbeit und Aufräumen, etwas anderes gebe es nicht. Sie arbeite in der Verwaltung des Pensionistenheims im Ort und könne Überstunden machen, so viel sie wolle. Zu Hause falle das nicht auf, da ihr Mann sowieso spät heimkomme und Leo, ihr jüngerer Sohn, derzeit mit ihr nichts zu tun haben wolle. »So, als hätte ich es getan«, sagte sie. »Was?«, fragte Kovacs, obwohl er wusste, was sie meinte.
    »Na, was wohl?«
    Ob das heiße, dass sie nach wie vor glaube, ihr Sohn sei vom Gerüst gestoßen worden, fragte Kovacs. Alles andere ertrage sie nicht, sagte die Frau. »Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Kind in einer Schmierölpfütze ausrutscht und zu Tode stürzt? Oder über ein Stück Bauholz stolpert, das jemand liegengelassen hat?« Kovacs dachte an den Verband unter seinem Jackenärmel und sagte nichts.
    Gerlinde Weghaupt war eine dunkelhaarige, kräftige Frau, von der man sich vorstellen konnte, dass sie sich mit drei Männern im Haus wohl fühlte. Eine, die lacht, obwohl sie alle ein wenig kompliziert sind, dachte Kovacs; eine, die den Ehemann Woche für Woche zum Rasenmähen auffordert; eine, die dafür sorgt, dass der Kühlschrank gefüllt ist und die Gemeindeabgaben rechtzeitig bezahlt werden. Nur mit der Katastrophe hatte sie nicht gerechnet. Sie ging vor ihm her. Am Beginn der Treppe ins Obergeschoß wandte sie sich um. »Im Fernsehen bieten die Angehörigen den Kommissaren immer Kaffee an«, sagte sie, »ich hoffe, Sie haben nicht damit gerechnet. Ich kann so etwas momentan nicht.« Kovacs hob abwehrend die Hände. Um Gottes willen, nein, er wisse auch, dass Demski bereits mehrmals mit ihr gesprochen habe und die ganze Sache eine Zumutung für sie sei, aber er brauche manchmal die unmittelbare Anschauung, außerdem habe er es mit den Räumen.
    Die Wand neben der Treppe war voll mit Blumenaquarellen. Sie malt sie selber, dachte Kovacs. Sie sticht im Herbst den Gemüsegarten um und im Frühjahr malt sie Krokusse und Buschwindröschen. »Wo arbeitet eigentlich Ihr Mann?«, fragte Kovacs. Bei Apollo, einer Firma, die Leiharbeiter vermittle, sagte die Frau, während sie vor ihm dieTreppe hochstieg. Das klinge nach kargem Lohn und Ausbeutung, sei aber nicht so. Als Papiermaschinenmechaniker sei er in der Situation, sich die guten Jobs aussuchen und die Arbeit so einteilen zu können, dass an den Wochenenden und im Fasching Zeit bleibe, um zu spielen. Akkordeon, sagte sie, als Kovacs schwieg, Tanzmusik. Er spiele in einem Quartett: Akkordeon, Geige, Klarinette und Kontrabass. Sie würden aus ganz Österreich angefragt, manchmal auch aus Bayern und aus der Schweiz.
    Die Frau zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss das Zimmer auf. Kovacs stellte sich vor, wie sie das derzeit täglich tat, wie sie von innen wieder zusperrte, obwohl sonst niemand im Haus war, und wie sie sich dann aufs Bett setzte oder an den Schreibtisch.
    Über dem Bett hing das berühmte Köln-Concert-Foto von Keith Jarrett, daneben Chick Corea mit Bobby McFerrin auf einer riesigen Freiluftbühne und Friedrich Gulda auf einem Foto aus der Zeit, als er noch keine Kappe trug. »Er wollte in die Fußstapfen des Vaters treten«, sagte Kovacs. Die Frau schüttelte den Kopf. »Er hat es ernster gemeint«, sagte sie, »nicht nur Geld verdienen und so.« Kovacs trat an das nussbraune Klavier, das rechts neben dem Fenster an der Wand stand, und klappte den Deckel hoch. Gebrüder Stingl Wien , las er, k&k Hof-Clavier-Fabrikanten. Die Frau lächelte für eine Sekunde. Diesen Zwang, bei einem Klavier den Deckel hochzuklappen, habe er auch gehabt, sagte sie, in Museen habe sie das immer wieder in Schwierigkeiten gebracht, zum Beispiel in Mozarts Geburtshaus in Salzburg. Er sei noch relativ klein gewesen, habe aber die Hand sofort am Klavierdeckel gehabt und zack! Schon sei einer dieser unmöglichen Museumsaufseher dagestanden und habe Nichts berühren, bitte!gebellt. Kovacs drückte vorsichtig eine Taste, so dass kein Ton zu hören war. Er spürte, wie der Filz des Hammers auf die Saite traf. »Es ist aus neunzehnhundertacht, eine Wiener Mechanik. Er hat es bei

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