Das Matrazenhaus
auf.
Er schaute eine Weile in die Auslagen des Geschäftes, auf ein pinkfarbenes Kostüm mit dem Schild Nur zweimal getragen , auf einen grauen Hosenanzug aus Naturseide mit der Aufschrift Neu, kleiner Webfehler , auf eine Reihe von Damenschuhen der Größe siebenunddreißig und auf eine Sammlung absurd pausbäckiger Porzellanfiguren der Manufaktur Hummel. Als Angebot der Woche war ein Paar Schwäne aus Muranoglas ausgestellt, der eine in Petrolgrün, der andere in Dunkelrot, angeschrieben mit dreiundzwanzig fünfzig. Die Frau, mit der ich schlafe, verdient ihr Geld mit abgetragenen Sachen und mit Kitsch, dachte er, und mich macht das auf eigenartige Weise froh.
Als er vom Rathausplatz nach Süden abbog und am Stift vorbeifuhr, sah er, dass die Granitplatten des Vorplatzes von zwei traktorartigen Poliermaschinen blankgescheuert wurden. Osterputz hatte es zuletzt in seiner Kindheit gegeben, Schmierseife und Glanzwachs, Vorhangabnahme und Rehleder, mit dem die Kinder die Fenster trockenzuwischen hatten. Die Mutter war eine Woche lang gereizt auf und ab getigert und der Vater hatte sich irgendwohin verzogen. Das war das einzig Gute dran gewesen. Yvonne hatte vom Putzen grundsätzlich nichts gehalten und Marlene tat es, wann immer es ihr passte. Er selbst beschäftigte seit zweieinhalb Jahren Sznezana, die am östlichen Ende der Walzwerksiedlung in einem der ehemaligen Arbeiterblocks wohnte und einmal pro Woche einen Vormittag lang in seine Wohnung kam. Er dachte an Gerlinde Weghaupt, daran, dass es neben Dreck auch andere Gründe fürs Putzen gab, an den verschnörkelten Schriftzug auf der Innenseite des Klavierdeckels und an die Frage, warum er die Möglichkeit eines Selbstmordes bei Florian Weghaupt von Anfang an nicht in Betracht gezogen hatte. Dann dachte er erneut an Marlene, an ihren schnoddrigen Humor, daran, dass sie nie lang böse sein konnte, und an ihre Eigenart, ganz still zu werden, wenn der Sex besonders gut war.
Am Brunnenbecken lungerten wie immer um diese Tageszeit die Schulheimkehrer herum, mittendrin Hakan, der jüngste Bruder des Sheriffs, trotz seines Rollstuhles, den er aufgrund einer angeborenen Rückenmarksfehlbildung brauchte, die größte Nachwuchshoffnung im Abschluss zweifelhafter Geschäfte, und Isabella Neulinger, das Schulgespenst. Wer ihr diesen Namen gegeben hatte, war nicht mehr zu rekonstruieren. Sie schaffte es jedenfalls, bei praktisch lückenloser Abwesenheit vom Unterricht regelmäßig positive Schularbeiten abzuliefern, hielt legendäre Referate über Suchtmittel und Kinderprostitution und entzweite auf diese Weise den Lehrkörper des Gymnasiums. Seit Töllmann sie bei einer Razzia einmal fester angefasst hatte, kommunizierte sie mit der Polizei nur noch per Mittelfinger. Kovacs ignorierte sie einfach. Er fasste das als Auszeichnung auf.
Etwas abseits kniete ein Mädchen mit einem signalgrünen Irokesenhaarschnitt auf dem Boden und warf einer jungen schwarz-weißen Katze Flaschenkapseln zu. Kovacs kannte das Mädchen nicht. Die Katze gehörte Alexander Koesten, dem Architekten, der unmittelbar unter ihm wohnte. Sie hieß Koolhaas und sprang zirka jeden zweiten Tag vom Balkon in den Wacholderbusch, der darunter wuchs. Koesten geriet dadurch jedes Mal aus dem Häuschen und verdächtigte die Menschen seiner Umgebung des Kidnappings.
Während er nach dem Schlüssel kramte, reduzierte Kovacs seinen Entscheidungsspielraum auf Omelett oder Schinken-Käse-Toast. Der Sinn stand ihm eher nach Omelett, doch es gab eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Eier. Früher hatte er den Inhalt seines Kühlschrankes jederzeit auswendig hersagen können. Jetzt war das nicht mehr so. Ich werde alt, dachte er.
»Hallo.« Kovacs erschrak heftig. Das Mädchen mit dem grünen Iro stand schräg hinter ihm und lächelte verlegen. Es trug eine schwarze Lederjacke mit Nieten und einer aufgerissenen Schulternaht, in den Nasenflügeln mehrere Ringe und im linken Ohr einen silbernen Totenkopf. »Hallo«, sagte Kovacs, »kann ich was tun für dich?« »Papa?!«, sagte das Mädchen.
Es gab Momente, da stellte einem das Leben ein Bein, so unvermittelt, dass man die Arme nicht mehr nach vorn kriegte und der Länge nach hinknallte, voll auf die Fresse. Bis man dann hochkam, dauerte es eine Weile. »Papa?!«, sagte das Mädchen noch einmal. Kovacs starrte abwechselnd auf den Haustorschlüssel, den er nach wie vor in der Hand hielt, und auf das Mädchen. »Was hast du mit dir gemacht?«, fragte er
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