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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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frischer Blätterteigcremeschnitten mitgebracht, als Dank für die gute Betreuung ihrer Mutter, in Wahrheit vermutlich aus purer Konkurrenz mit der Tochter von Frau Hrstic, die es sichtlich nicht so habe mit selbstgemachten Mehlspeisen. »Und?«, fragte Horn und blickte sich um. Herbert klopfte auf seinen Bauch und sagte, es tue ihm leid, aber es seien insgesamt acht Personen bei der Dienstübergabe gesessen, Herr Doktor Hrachovec sei immer ziemlich hungrig, und er selbst gehe am Morgen auch meistens ohne Frühstück aus dem Haus. »Meine Abteilung gibt mir nichts zu essen«, jammerte Horn. »Ein Psychiater ruft nach Parentifizierung, das geht nicht«, sagte Leonie Wittmann, die eben bei der Tür hereinkam. Wie sie das meine, fragte Horn, und sie antwortete, Eltern hätten ihre Kinder zu versorgen und nicht umgekehrt.
    »Es ist wegen Frau Müllner«, sagte Vessy, die sich inzwischen beruhigt hatte und die Augen wischte. »Aber die ist ja gar nicht da«, sagte Horn. »Doch«, sagte Vessy, »die ist andauernd da.« Dorothea Müllner komme nicht nur brav zu ihren Ambulanzterminen, sondern tauche auch zwischendurch immer wieder auf, völlig lautlos und unbemerkt, gebe vor, eine der dementen Damen zu besuchen, und suche dabei Kontakt zum Pflegepersonal, genau genommen zu den Männern, zu Herbert, zu Raimund und zu Günther. »Heute früh hat sie Günther einen Orden verliehen«, sagte Vessy.
    »Einen was?«
    »Einen Orden.« Sie habe ihn nach der Übergabe abgepasst, sei auf ihn zu und habe ihn gefragt, wo er gedient habe. Er habe die Hacken zusammengeschlagen, habe gesagt, Pflegeheim Leoben, Rollstuhlfahren, Kackeputzen, und sie habe daraufhin ihre Handtasche geöffnet, einen Orden hervorgezogen, ihn an seine Brust genadelt und gesagt: »Jetzt sind Sie mein Soldat, Herr Günther.« Günther habe salutiert und sich bedankt und dann versucht, ihr den Orden zurückzugeben, doch sie habe auf der Stelle bitterlich zu weinen begonnen. »Das war ihr total ernst«, sagte Vessy. Leonie Wittmann sagte, natürlich sei es ihr ernst gewesen, was sonst, und Vessy fragte, ob sie jetzt wegen ihres Lachens ein schlechtes Gewissen haben müsse. »Über Ihr Gewissen verfügen nur Sie, Schwester Vesselina«, sagte Leonie Wittmann, und Horn dachte, dass wahrscheinlich nur der tiefste Ernst wirklich lustig war.
    Er stellte sich vor, wie die kleine, runde Frau nach dem Tod ihres Ehemanns mit aller Kraft versuchte, sein Andenken hochzuhalten, wie sie die Schaukästen mit den Käfern abstaubte und die Chemikalien aufbewahrte und wie das alles nichts nützte, sondern ihr Vater übermächtig auferstand, der Soldat, und sie an der Hand nahm und sagte: Na siehst du, das war doch alles total lächerlich.
    »Das heißt, Günther läuft jetzt mit einem Orden durch die Zimmer?«, fragte Horn, und Herbert sagte, ja, und dabei pfeife er die italienische Hymne. Das sei ein bisschen nervig.
    »Was pfeift er?!«
    »Die italienische Nationalhymne«, wiederholte Herbert, Fratehelli d’Italia , das einzige Lied, das er kenne, was ein bisschen militärisch klinge. Außerdem stehe er auf Juventus Turin, das sei doch ebenfalls eine ältere Dame, und schon passe alles wieder zusammen.
    Horn schenkte Kaffee ein. Um keinen Parentifizierungsverdacht aufkommen zu lassen, sagte er. Herbert erzählte, Marcus spiele inzwischen hin und wieder auf seiner Gitarre, unplugged und sogar, wenn er bei ihm im Zimmer sei. Er spreche über sein Holzbau-Studium, wie viel Theorie da gelehrt werde und wie wenig Sägen, Fräsen und Hobeln, und einmal habe er einen Satz über seine Mutter gesagt: Ich weiß nicht, wo die lebt. Die Bezugsbetreuung funktioniere objektiv gut, und trotzdem habe er das Gefühl, dass es da noch irgendwas gebe. »Das Unausgesprochene ist immer das Wirksame«, sagte Leonie Wittmann und rührte Zucker in ihren Kaffee.
    Friedrich Helm war am Vortag mit normalen Nierenwerten entlassen worden, Johanna Seidler, eine depressive Bäuerin aus Sankt Christoph, fühlte sich weniger schuld an der Krebserkrankung ihrer Mutter und Leo Schaupp, pensionierter Schulwart aus Furth, war zum ersten Mal seit langem ohne die Gewissheit eines nächtlichen Herzinfarkteseingeschlafen. Bei Margot Frühwald hatte die Anfallshäufigkeit deutlich nachgelassen und Sabrina hatte seit mehr als achtundvierzig Stunden auf nennenswerte Blutbäder verzichtet. »Was machst du mit ihr?«, fragte Horn. »Wir arbeiten an der Struktur«, sagte Leonie Wittmann.
    »Was heißt das?«
    »Ich sitze

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