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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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auch«, sagte der Inspektor. Während er lachte, bebte sein Bauch.
     
    Horn ertappte sich dabei, wie er dem Buben in die Augen starrte. »Wollen Sie sie genauer sehen?«, fragte der Bub und schob seinen Stuhl näher an den Schreibtisch heran. »Nein«, sagte Horn, »nein, entschuldige.« »Alle wollen meine Augen sehen«, sagte der Bub, »alle sagen dann, nicht so häufig beim Typ eins.« Er spreizte die Lider seines rechten Auges mit Daumen und Zeigefinger. »Danke, ich hab’s schon gesehen«, sagte Horn und lehnte sich zurück. Es ist wie im Lehrbuch, dachte er, er hat tatsächlich blaue Skleren, die dunkelbraune Iris, wie erwartet, und drum herum knallblaue Bindehäute, als wär’s ein Fabrikationsfehler. »Mir hat er’s auch gezeigt«, sagte der Inspektor, »ich finde, es sieht super aus, wie bei einem Alien.«
    »Tut es eigentlich weh?«, fragte Horn und deutete auf Sen Wus Schulter. Der Bub schüttelte den Kopf. Es habe nie wehgetan, außer in der allerersten Nacht, beim Umdrehen im Schlaf.
    »Und jetzt hilft dir der Verband?«
    »Ja«, sagte der Bub und nickte heftig. Der Arzt habe gesagt, dass es bei ihm besonders wichtig sei, in der Schlaufe zu bleiben. »Und du verstehst, warum?«, fragte Horn. »Wegen der Kollagen-Tripelhelix«, sagte der Bub und schaute ihn treuherzig an. Er ist ein achtjähriger Herr Oberschlau, dachte Horn, kennt sich aus mit den Grundlagen seiner Krankheit und tut trotzdem, was alle Kinder mit einem Gilchrist-Verband tun – wenn’s ihm passt, schlüpft er aus der Schlaufe. Er fragte den Buben, ob er in der Schule gut sei und wofür er sich besonders interessiere, und der Bub sagte, erstens glaube er schon, dass er gut sei, und zweitens für Geographie. Ja, er sei schon zweimal im Ausland gewesen, in Kroatien und in Ungarn, am Plattensee habe es ihm besonders gut gefallen, da sei er auch bei Wellen mit dem Tretboot hinausgefahren. Nach China werde er vielleicht nächstes Jahr fahren, vielleicht übernächstes, zu den Großeltern und zu den Schwestern des Vaters, die Mutter habe nämlich keine Geschwister. Bis jetzt sei diese Reise nicht möglich gewesen, für fünf Personen koste das eine Menge Geld. »Was ist die Hauptstadt Dänemarks?«, fragte der Inspektor von hinten. »Kopenhagen«, sagte der Bub.
    »Und die von Portugal?«
    »Lissabon.«
    »Der längste Fluss der Welt?«
    »Der Amazonas.«
    »Der höchste Berg Nordamerikas?«
    Für Berge interessiere er sich nicht so, sagte der Bub, ob das etwas ausmache. Nein, im Gegenteil, sagte der Inspektor, je weniger Berge, desto besser. Was denn die tiefste Stelle in den Weltmeeren sei. »Der Marianengraben«, sagte der Bub, aber das sei noch nicht ganz sicher, denn in den Ozeanen werde noch ständig gemessen. Die Stadt mit den meisten Einwohnern? Mexiko City. Der längste Fluss Afrikas? Der Nil. Die größte Stadt Asiens? Das sei leicht – Shanghai. Und, eine schwierige Hauptstadtfrage, jene Australiens? Auch leicht – Canberra. Na dann, die schwierigste aller Hauptstadtfragen – jene von Florida. Der Bub überlegte. Die echte Hauptstadt sei in diesem Fall Washington, sagte er, aber das meine er mit Sicherheit nicht. »Nein«, sagte der Inspektor, »die Hauptstadt des Bundesstaates Florida.« Miami, Orlando, Tampa, dachte Horn. Er stellte sich diesen enormen Mann als Achtjährigen vor, wie er über dem Atlas und dem Lexikon saß und Hauptstädte auswendig lernte, und am nächsten Tag nannten sie ihn in der Schule wieder Streber und Schleimi und wählten ihn als Letzten in die Fußballmannschaft. »Tallahassee«, sagte der Bub. »Nein!« Der Inspektor ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen. Er fasse es nicht, kaum habe der Bengel lesen gelernt, schon kenne er Tallahassee. Der Bub blickte verlegen auf den Tisch. Horn war sicher, dass er nicht erst unlängst lesen gelernt hatte.
    Er frage sich, ob ein Bub, der von Tallahassee und Canberra und dem Amazonas wisse, also zumindest in die dritte Klasse gehörte, Kinder aus der ersten überhaupt kenne, Felix Szigeti zum Beispiel und Britta Kern, sagte Horn. Ja, sagte der Bub, Felix wohne auch ganz in seiner Nähe, und gemeinsam hätten sie unlängst Hermine, das Perlhuhn des Schrotthändlers Hrdlicka, das nicht nur zahm, sondern auch ein wenig dumm sei, vor einem fremden Hund gerettet. »Der es fressen wollte?«, fragte Horn. »Vielleicht«, sagte der Bub. Er, Sen, wisse sicher auch, sagte Horn, dass Felix und Britta etwas Ähnliches passiert sei wie ihm selbst, natürlich nicht ganz

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