Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
Zuwendung wünschten, aber selbst nur Sex beherrschten, als plötzlich Kurt Frühwald in der Tür stand. Alle verstummten. Frühwald war kreidebleich. Seine rechte Wange zuckte ununterbrochen. »Wo ist sie?«, fragte er leise. Horn erhob sich und trat auf Frühwald zu. »Kommen Sie«, sagte er. Frühwald blickte an ihm vorbei. »Wo ist sie?«, brüllte er. Horn packte ihn am Arm und zerrte ihn aus dem Raum. »Auf der Neuro-Intensiv«, sagte er, »von dort wurden Sie auch angerufen.«
    »Niemand hat mich angerufen!«
    »Warum kommen Sie dann her?«
    Kurt Frühwald stand da, die Fäuste geballt, und gab keine Antwort. Aus Christinas Büro klang das Lachen ihrer Tochter. Horn stellte sich vor, wie Dolores auf den Gang lief, einem Spielzeugauto hinterher, wie sie stehen blieb und sie beide anstarrte und wie Frühwald plötzlich die Arme nach vorn streckte. Er stellte sich vor, dass sie erstaunt den Mund öffnete, so, dass man ihre Zunge sah, dass sie für eine Weile zu atmen vergaß und dass sie ihre kurzen dicken Finger spreizte wie ein kleiner Wassermann. Er stellte sich schließlich vor, dass Kurt Frühwald innehielt, die Arme wieder senkte und mit dem rechten Fuß auf das Spielzeugauto trat, so, als habe er es nicht gesehen.
    Kurt Frühwald sprach kein einziges Wort, während sie in Richtung N31 gingen, nicht in der Vorhalle, nicht auf der Treppe und nicht an der Schiebetür, vor der sie schließlich warteten. Horn dachte an die Sommerlinde vor Frühwalds Haus, an Margot Frühwalds Gesicht mit dem Pfauenfedernbettzeug drum herum und daran, wie ihr Mann die Magnetverschlüsse an den weißen Gurten geöffnet hatte. Die große dunkelhaarige Schwester, die hinter der Mattglasscheibe hervortrat, sagte, es tue ihr leid, aber seiner Frau werde gerade ein Halsvenenkatheter gesetzt, um im Notfall einen besseren Zugang zu haben, er solle bitte frühestens in einer Stunde wiederkommen. Frühwald blickte eine Weile gegen die Wand, dann wandte er sich zum Gehen. Im Lift drückte er auf den Knopf. »Mir wird meine Frau weggenommen, täglich, seit elf Jahren«, sagte er, bevor er im Erdgeschoß in Richtung Ausgang ging.
     
    Er habe nichts mit ihr gehabt, Ehrenwort, sagte Marcus Lagler, und richtete seinen Blick hilfesuchend auf Herbert. Sie sei erst auf den Tisch geklettert und habe das Kameraauge bemalt, was mit dem winzigen Nagellackpinselchen ziemlich langwierig gewesen sei, dann habe sie sich vor ihn hingestellt und ein Kleidungsstück nach dem anderen abgelegt, nicht wie eine Striptease-Tänzerin, sondern eher wie vor dem Schlafengehen. Er habe für einen Moment gedacht, dass ihr Körper ganz hübsch sei, doch dann habe er diese Narben und Schnitte gesehen, dicht an dicht, überall. Dass es das an den Unterarmen gebe, habe er gewusst, aus Zeitschriften und aus dem Fernsehen, doch auf den Beinen, auf dem Bauch, auf den Brüsten – auf so etwas sei man nicht vorbereitet. Also, an Sex sei von seiner Seite aus nicht zu denken gewesen, und was sie gewollt habe, sei ihm in Wahrheit auch nicht klargeworden, denn sie sei einfach nackt vor ihm gestanden, mit Gänsehaut an den Oberschenkeln, und habe ihn angesehen, provokant und traurig zugleich.
    Horn legte das Blatt auf den Tisch. »Darum geht es jetzt«, sagte er, die Sache mit Sabrina sei ihnen schon klar. Marcus drehte für einige Sekunden die Augen zur Decke. »Woher haben Sie das?«, fragte er. »Letztlich von Florian Weghaupts Mutter«, sagte Horn. »Blöder Trampel«, sagte Marcus. »Wie bitte?«, fragte Herbert.
    »Nichts. Mütter sind halt so.«
    »Wie sind Mütter?«
    »Ignorant. Stumpfsinnig. Stöbern in E-Mails rum.«
    »Wie Ihre eigene?«
    »Ja, wie meine eigene.«
    »Und interessieren sich nicht?«
    »Wie meinen Sie das?«
    Das schreibe er auch, sagte Horn, dass sich nicht einmal die engste Familie für seine Musik interessiert habe. »Für unsere Musik«, sagte Marcus, »für unsere wertlose, nichtswürdige Nachahmermusik.« Was er von ihm gehört habe, sei nicht im mindesten wertlos, sagte Herbert. Leider zähle seine Meinung rein gar nichts und auch nicht die Meinung von Freunden oder Gitarrelehrern, sagte Marcus, und Palkovits, der Produzent, bei dem sie gewesen seien, habe gesagt, das sei nettes Nachgeträllere, sonst gar nichts. Florian habe den Mut gehabt, zu fragen, wem sie seiner Ansicht nach nachträllerten, und dieser niedergefixte Typ mit den fetten Haaren habe gesagt, das sei uninteressant, es klinge hundertprozentig epigonal und aus. Monate intensiven

Weitere Kostenlose Bücher