Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
sanft und wild und passagenweise so ungezügelt, dass man die Zunge vibrieren höre.
    Sie richtete sich auf und winkte ihn zu sich heran. »Ich möchte dich etwas fragen«, sagte sie, »ganz leise.« Er stützte sich auf die Lehne des Fauteuils und beugte sich zu ihr hinab. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Jetzt?«, fragte er, »hier?« Sie nickte.
    »Es ist das Einzige, was mich beruhigt.«
    »Aber ihr spielt doch nur das Bruckner-Te-Deum«, sagte er. Sie schüttelte den Kopf. »Nicht nur. Aber wenn ich davon spreche, macht mich das noch nervöser.« Sie hob entschuldigend die Schultern. Er strich mit dem Zeigefinger ihren Nasenrücken entlang. »Meine dumme Perfektionistin«, sagte er. Sie zog ihn erneut an sich. »Holst du uns die Decken?«, flüsterte sie, »es ist kühl.«
    Marijana Mijanovic sang irgendwas von vago e bello und fiore und prato , während Irene in der Art auf ihm lag, die sie ganze Länge nannte: Alles berührte sich, Zehenspitzen, Schenkel, Bauch, Brust, Hände, Kinn, Mund, Nase, Stirn. Er tastete mit der Zungenspitze ihre Schneidezähne ab, roch die Schärfe in ihrem Duft und spürte, wie ihr Zittern langsam nachließ. »Was wirst du spielen?«, fragte er. Sie legte ihren Kopf in seine Halsgrube, nagte an seinem Schlüsselbein und sagte nichts.
    Später lagen sie auf dem Teppich, eine Daunendecke als Unterlage, die andere als Zudecke, und er erzählte von Felix, Britta und Sen Wu, von ihrer Offenheit, ihrer Neugier und von den Rätseln, die sie aufgaben. Er sagte, dass die Gerechtigkeit in der Welt sofort zu existieren aufhöre, sobald man die Lebensgeschichten von Kindern vergleiche, und sie antwortete, das brauche er gerade ihr nicht zu erklären. Tobias werde dafür sorgen, dass sich die Sache mit Michael einrenke, sagte er, und sie antwortete, Tobias sei seit einigen Tagen weg, das solle er bitte nicht vergessen. »Apropos Tobias weg«, sagte er, »– fährst du mit mir im Sommer nach Schottland?« »Apropos Männerphantasien«, antwortete sie, »– weißt du, für wen Händel all das geschrieben hat, was die Mijanovic da singt?« Er zuckte mit den Schultern. »Für einen Kastraten«, sagte sie. Da sei er also doch nicht so falsch gelegen mit seiner Countertenor-Vermutung, sagte er. Ein Countertenor sei, bitte sehr, kein Kastrat, gab sie zur Antwort, »und by the way« – einem Buben die Eier abzuschneiden, sei noch schlimmer, als ihn zu schlagen.« »Wenn man sucht, gibt es immer etwas Schlimmeres«, sagte er.
    Während Irene neben ihm immer ruhiger atmete, dachte er an Blumenwiesen, an Lisbeth Schalk und Leonie Wittmann, daran, dass für gewisse Kollegen eine Frau als Begleitung auf einer wissenschaftlichen Tagung schlicht Kongressunterlage hieß, und an seine Söhne, die möglicherweise genau in diesem Moment beisammensaßen und über ihre Eltern herzogen, Michael bei einem Glas Wein, Tobias mit einem Joint zwischen den Fingern. Er fragte sich, wann der eine dem anderen das Autofahren beigebracht hatte und wie eng der Kontakt zwischen den Brüdern die ganze Zeit über gewesen war, ohne dass Irene und er etwas gemerkt hatten. Er blickte durch eins der Dachflächenfenster in den Himmel. Es waren keine Sterne zu sehen. Er fragte sich wieder einmal, ob er in diesem Haus richtig war, am Waldrand, im Einzugsbereich einer Kleinstadt, und dann fragte er sich, welche Leute ihn bieder fänden, wüssten sie, dass für ihn der Sex mit seiner Ehefrau noch immer das Beste war, das es gab.
     
    Der Anruf kam knapp vor sechs. Im Stall lag weißes Morgenlicht. Irene hatte sich zur Seite gerollt und schnarchte leise. Er langte nach dem Mobiltelefon, das er auf ihrem Bugholzstuhl abgelegt hatte. Es war Christina. Günther habe sie soeben aus dem Spital angerufen, sagte sie. Margot Frühwald krampfe seit einer halben Stunde. Gerlinde Schäfer, der Welt ehrgeizigste Turnusärztin, glaube wie immer, sie müsse alles allein bewältigen, und kriege die Sache nicht in den Griff. Horn schälte sich aus der Decke. »Kannst du mich abholen?«, fragte er, »mein Sohn hat mir mein Auto gestohlen und ich weiß nicht, ob Irene das ihre nicht braucht.« »Ich hätte auch gern einen Sohn, der mir mein Auto stiehlt«, sagte Christina. Dann legte sie auf.
    Raffael Horn sammelte seine Kleider ein. Direkt über ihm raschelte es in der Dachschräge. Ein Siebenschläfer oder ein Marder. Irene kam mit dieser Art von Haustieren besser zurecht als er selbst. Lass sie, sie tun uns nichts, sagte sie, wenn er laut

Weitere Kostenlose Bücher