Das Mauerblümchen erringen (German Edition)
Stelle hinter Herzögen und Marquisen, doch die in Frage kommenden Herzogstöchter waren allesamt unansehnlich, und eine Marquistochter leider nicht verfügbar. Miss Lucy war ganz annehmbar. Unter den vier unverheirateten Earlstöchtern hatte Cyrus bei der ersten Begegnung sie ausgewählt.
Die vornehme Gesellschaft hatte diese Verlobung beinahe kommentarlos hingenommen, wie Cyrus gehofft hatte. Denn er hatte die in Frage kommenden jungen Mädchen mit den erforderlichen Stammbäumen sorgfältig geprüft, und zwar nicht nur im Hinblick auf ihre individuellen Vorzüge, sondern auch in Anbetracht dessen, wie die Gesellschaft auf eine solche Verlobung reagieren würde.
Denn nichts hasste Cyrus mehr, als Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn er sich verlobte, so sollte es in den Augen seiner Mitmenschen eine ehrbare Angelegenheit sein. Auf Getuschel über Liebe oder Leidenschaft legte er keinen Wert, vor allem deswegen, weil er jeden Hauch von Skandal abwehren wollte, der nach all den Jahrzehnten immer noch seiner Mutter anhaftete.
Nein, Cyrus legte Wert auf eine schlichte, anständige Verlobung, die beiden Partnern zugute kam. Auf eine Ehe, die gerade durch ihren Mangel an Besonderheit etwas Besonderes war. Kein Futter für die Klatschtanten. Auch nicht der Hauch einer verbotenen Leidenschaft. Keines seiner Kinder würde geboren werden, bevor er nicht mindestens ein Jahr verheiratet war.
Tatsächlich fand er, man sollte den Vollzug der Ehe so lange wie möglich aufschieben, um ganz sicherzugehen.
Und aus diesem Grund war Miss Lucy Towerton die beste Wahl: Auch sie schien auf die Gelüste des Fleisches keinen großen Wert zu legen.
Auch jetzt noch, als er dem Butler der Summers Hut und Umhang reichte, war Cyrus zutiefst davon überzeugt, dass er das Richtige tat. Sein Plan würde aufgehen.
Doch schon zwei Minuten nach Betreten des Stadthauses musste er feststellen, dass er Gegenstand des gemeinen Klatsches geworden war.
Seit Beginn seiner Schulzeit hatte Cyrus ein Gespür dafür entwickelt, die Häme eines Klassenkameraden — oder häufiger noch: seines Cousins — zu erkennen, wenn es wieder einmal um seine Mutter ging, die mit einem Bürgerlichen durchgebrannt war. Die Neigung seines Vaters, aufsehenerregende Kriminalfälle anzunehmen und zu gewinnen, war Cyrus in Eton immer zum Nachteil geraten, denn so wurden die anderen Jungen regelmäßig an seine niedere Herkunft erinnert.
Aus schmerzhafter Erfahrung klug geworden, ermahnte er sich angesichts der Aufregung, die sein Eintreten verursacht hatte, nicht einmal mit der Wimper zu zucken. Äußerlich vollkommen gelassen reichte er dem Butler Spazierstock und Handschuhe, wobei er sich den Kopf über mögliche Gründe für das Getuschel zerbrach. Dann zog er die Abendhandschuhe an, die ihm einer seiner Reitknechte reichte.
Seine Kapitalanlagen waren breit gefächert und sicher; Gerede über seine finanziellen Angelegenheiten durfte es eigentlich nicht geben. Und seine Eltern waren wohlauf — zumindest hatte es so in dem Brief gestanden, den er am Morgen erhalten hatte.
Auf dem Weg des Ausschlussverfahrens gelangte Cyrus zu dem Ergebnis, dass die Aufregung sich um die Person Lucy Towertons drehen musste. Und als er durch die prachtvolle Eingangshalle des Summerschen Stadthauses schritt — und zerstreut den Missklang zwischen der klassischen georgianischen Einrichtung und dem ägyptischen Zierrat registrierte —, gelangte Cyrus zu dem Schluss, dass er Miss Towerton wohl nicht mehr als seine zukünftige Braut betrachten konnte.
Der Zorn, der bei dieser Vorstellung in ihm aufwallte, erschreckte ihn sehr. Lucy war ihm nicht wie ein Mädchen vorgekommen, das einen Mann einfach sitzenließ, sondern wie eine junge Dame von beträchtlichem Verstand. Außerdem hatte er sich absichtlich ein Mauerblümchen ausgesucht, also eine Frau, von der kein neuerlicher Skandal zu befürchten war, der seinen guten Namen beflecken würde.
Plötzlich streifte ihn der Verdacht, Lucy sei wie seine Mutter bereits in einen anderen Mann verliebt gewesen, als er um ihre Hand anhielt. Zwar hatte er keinerlei Anzeichen einer früheren Verliebtheit an ihr wahrnehmen können
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