Das Maya-Ritual
sind sicher, Sie haben ihn sonst nichts sagen hören?«
»Ja«, log ich.
Deirdre setzte das Tablett ab. »Wen wollen wir heute vergiften, Majestät?«, fragte sie, ein Auge geschlossen und den Mund zur Seite verzerrt. Ich vermutete, sie wollte Sanchez ablenken, weil sie wusste, was für eine schlechte Lügnerin ich war.
»Captain Sanchez hat sehr mein Missfallen erregt«, erwiderte ich mit einer Stimme wie Porzellan. Ich sah die Werbeslogans förmlich vor mir: Deirdre und Jessica - ernsthaft komisch.
»Danke«, sagte Sanchez, der unsere kleine Vorstellung erkennbar nicht zu schätzen wusste, und rührte mürrisch in seinem Kaffee.
Deirdre nahm wieder am Tisch Platz. »Ich habe eine Frage, Captain Sanchez. Warum wird in den Medien keine Terrororganisation für diese Gräuel verantwortlich gemacht?«
Er rührte eine Weile weiter, ehe er antwortete. »Aus Gründen, die wir nicht genau kennen, hat niemand die Verantwortung übernommen oder eine Erklärung verbreitet. Vielleicht der Versuch, den Terror langsam einsickern zu lassen. Uns ist es ganz recht, weil sich niemand einer Sache anschließt, von der man noch nichts gehört hat.«
»Schöne Sache, die es nötig hat, gerade mal zwanzigjährige Sportler zu ermorden und ihre sterblichen Reste zu verstümmeln«, sagte ich.
»Das waren immerhin Universitätsstudenten. Von islamischen Rebellen auf den Philippinen weiß man, dass sie zwölfjährige Kinder entführt haben.«
»Wollen Sie damit sagen, es ist nicht so schlimm?«, fragte Deirdre ungläubig.
»Ich will nur sagen, es könnte schlimmer sein.«
»Wurden sie als Vergeltung für die Todesfälle an der Grenze ermordet?«, fragte ich.
»Es sieht natürlich erst mal nach Auge um Auge aus. Erst mal, sagte ich. Man muss den Blick darauf richten, was das Endergebnis einer solchen Tat sein könnte.«
»Die Destabilisierung der Beziehungen zwischen Mexiko und Amerika?«, schlug ich vor.
»Das könnte nur ein Schritt auf dem Weg sein. Wenn Sie jetzt noch die Ermordung Goldbergs in die Gleichung einsetzen, was kommt dann heraus?«
»Was? Keine Ahnung.« Ich war nichtsdestoweniger neugierig. Sanchez hatte den Mord an dem Impresario jedenfalls nicht unter »Fehde zwischen Einheimischen« abgeheftet.
»Wenn man von Vergeltung für den Zwischenfall an der Grenze absieht, ist es schwer zu sagen«, meinte Deirdre. Sanchez schaute blasiert wie der noch nicht bekannt gegebene Gewinner einer Lotterie, der weiß, dass er das Gewinnlos in der Tasche hat. »Aus Sicht dieser radikalen Maya ist in Yukatan ein Prozess im Gange, der ihre Kultur schneller auslöscht, als es Jahrhunderte der Eroberung und Versklavung vermochten…«
An dieser Stelle ließ er den Köder erst mal baumeln.
»Und das wäre?«, schnappte ich danach.
»Der Tourismus.«
»Im Ernst?« Es war naheliegend und seltsam harmlos zugleich für mein Gefühl.
»Tourismus - klar«, sagte Deirdre. Das war natürlich Wasser auf ihre Mühlen.
»Jawohl, Tourismus. Aber es wäre so einfach, das Blatt zu wenden. All diese unerwünschten Leute zu verjagen und dafür zu sorgen, dass sie nicht wiederkommen. Die ägyptische Regierung musste damals in den Neunzigern Unsummen aufwenden, nachdem eine Gruppe Touristen ermordet wurde. Und in Algerien hat die regelmäßige Tötung von Touristen den Fremdenverkehr fast zum Erliegen gebracht.«
»Dann könnte es also sein, dass diese Morde überhaupt nichts mit dem Grenzzwischenfall zu tun haben?«, sagte ich.
»Ich sage nicht, dass es wirklich so ist. Ich spekuliere nur.«
Sanchez blickte aus irgendeinem Grund zu Deirdre hinüber. Dann schritt er zur Rückseite der Terrasse, beugte sich über die Umrandung und rief zu jemandem hinab. Ich hatte gar nicht gefragt, wie er nach Cozumel gekommen war. Ich stand auf und sah die Peitschenschnurantenne einer Motorbarkasse der Polizei. Sanchez sprach auf Spanisch über Dr. de Valdivia und die Cruzob. Er drehte sich kurz um und sagte: »Ich bitte jemanden zu uns herauf.«
»Wer es auch ist, er soll vorn herum und die Treppe hinaufgehen«, sagte ich. »Das Tor ist nicht versperrt.« Auf diese Weise musste niemand den Laden und das Haus durchqueren, um die Terrasse zu erreichen.
Sanchez übermittelte meine Nachricht und kam wieder an den Tisch. »Ich habe Ihre Bitte um Vertraulichkeit respektiert, Senorita Madison. Ich nehme an, Sie wurden nicht von den Medien belästigt.«
Darauf hatte ich kaum geachtet. »Es gab keinen einzigen Anruf, danke.«
»Ich habe unserem Pressebüro
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