Das Maya-Ritual
betraten den Schauplatz, nachdem die Gräueltat verübt worden war. Andernfalls wären Sie jetzt auch tot. Verwirrend finde ich allerdings, wie Sie zu Ihrer Andeutung hinsichtlich der möglichen Täter kommen.«
»Dr. de Valdivia lebte noch, als ich ihn auf dem Ballspielplatz fand.«
»Was?« Sanchez war vollkommen überrascht. »Dann waren Sie es, die ihn von der Stelle wegzog, wo er angepflockt war?«
»Ja. Aber zu diesem Zeitpunkt war er noch bei Bewusstsein. Und er hat mit mir gesprochen.«
»Er hat mit Ihnen gesprochen!« Sanchez wirkte jetzt beinahe beunruhigt. »Was hat er gesagt?«
»Er war sehr schwach und nur schwer zu verstehen. So viel ich mir zusammenreimen konnte, hat er vergeblich versucht, sich für die Geiseln einzusetzen. Dann musste er zusehen, wie die Entführer gegen die Mannschaft spielten - wobei er die ganze Zeit wusste, dass sie sterben würden.«
Sanchez schloss die Augen wie beim Gebet. »Warum hat er mich nicht eingeweiht«, flüsterte er, mehr zu sich selbst. Dann öffnete er die Augen wieder und sah mich an. »Ich wusste nichts von seinen Plänen«, sagte er flehentlich, als hielte ich ihn für mitverantwortlich.
»Das glaube ich Ihnen«, erwiderte ich.
Sofort schaltete er wieder auf Vernehmung um. »Was hat Ihnen Dr. de Valdivia sonst noch erzählt?«
»Dass es dieser ›Kruzo‹ war, der ihn gefoltert hat. Wissen Sie, was man mit ihm gemacht hat?«
»Es gab genügend Hinweise, um den Hergang zu rekonstruieren. Außerdem ist es eine traditionelle Bestrafung für Verräter. Die Mayarebellen des neunzehnten Jahrhunderts pflegten Informanten in Säcke voller giftiger Skorpione und Spinnen zu nähen.«
»Dann sind die Entführer also eine Mayaorganisation?«
»Ja. Die Cruzob.« Er buchstabierte es. »C-r-u-z-o-b. Der Plural des spanischen Wortes für Kreuz in der Mayasprache, wenn Sie mir folgen können. Das ›b‹ wird nicht gesprochen. Bedeutet grob übersetzt ›das Volk des Kreuzes‹.«
»Sie wussten bereits, dass sie es waren?«
»Wir haben Hinweise darauf, dass sie an terroristischen Aktivitäten der letzten Zeit beteiligt waren«, leierte er herunter, als würde er fürs Fernsehen interviewt.
»Sie meinen den Mord an Goldberg?«
Er antwortete nicht.
»Steht die Sache irgendwie in Zusammenhang mit den Spannungen zwischen unseren beiden Ländern?«
»Das weiß ich nicht. Aber sie ist bestimmt nicht hilfreich.«
»Warum betrachten die Cruzob Dr. de Valdivia als Verräter?«
»In den Fünfzigern arbeitete Rafael de Valdivia als Freiwilligenarzt bei den Maya von Quintana Roo. Das Gebiet war das ärmste in ganz Mexiko, es herrschte sogar Hungersnot. Das war ein paar Jahre nach Unterzeichnung eines Vertrags zwischen den Maya von Yukatan und Mexiko. Viele der Cruzob wollten die Vereinbarung nicht anerkennen und einen unabhängigen Staat gründen, wie Quintana Roo fast ein Jahrhundert lang praktisch einer gewesen war. De Valdivia wurde ihr Anführer. Sie lieferten sich ein paar Jahre lang Scharmützel mit der Armee, bevor er der Gewalt abschwor und die Guerillaverbände auflöste.«
»Aber er selbst war kein Maya.«
»Nein. Ironischerweise stammte er von Konquistadoren ab. Aber er wurde ein Volksheld der Maya in Yukatan. Inzwischen gibt es jedoch eine neue Generation von Rebellen, die mit den älteren Cruzob gebrochen und sich wieder der Gewalt verschrieben haben. Und die verdächtigen wir dieser Gräueltaten. Sie wussten, wer Dr. de Valdivia war, aber sie müssen herausgefunden haben, dass er bei der Untersuchung im Fall Goldberg mit den Behörden zusammenarbeitet. Er dachte wohl immer noch, er könnte mit ihnen diskutieren, aber das war naiv. Die heutigen Terroristen verabscheuen Gemäßigte, die sich in ihre Sache einmischen, sogar noch mehr, als sie Verräter hassen.«
Dr. de Valdivia war also ein Revolutionär gewesen. Und einer mit beträchtlichem Charisma, konnte ich mir vorstellen. Dann musste es wohl Heldenverehrung gewesen sein, die Alfredo veranlasst hatte, in Chichen Itza auf ihn zuzugehen. Oder steckte ein finstereres Motiv dahinter? Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Deirdre mit einem Tablett aus der Wohnung kam.
Sanchez sah sie ebenfalls kommen und fragte rasch:
»Hat Dr. de Valdivia sonst noch etwas gesagt?«
»Ja… eines noch. Er bat mich, mit seinem Sohn Bartolomé zu sprechen.«
»Worüber?«
»Über die Cruzob.«
»Und das war alles, was er sagte?« Deirdre näherte sich dem Tisch.
»Er war sehr schwach, wie ich schon erklärt habe.«
»Sie
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