Das Maya-Ritual
Touristen nach Miami?«
»Nein, er bringt sie von dort weg.« Zedillo: »Schwer zu glauben.«
»Wieso, auch die Bewohner Floridas fahren in Urlaub.« Sanchez: »Wie lange waren Sie bei ihm?«
»Eine Woche.«
Zedillo: »Wie lautet seine Adresse in Miami?«
Und so ging es weiter wie bei einem Tennisspiel zwischen zwei hart schlagenden Männern und einer Frau, die allein die andere Netzseite verteidigt.
Aber Deirdre und ich waren schon in anderen Ländern von der Polizei vernommen worden, meist für etwas, das wir tatsächlich getan hatten. Deshalb grenzte die Situation ans Surreale. Aus berechtigten, aber kurzen Fragen an mich hatte sich eine gründliche Vernehmung meiner Freundin entwickelt, die lediglich hier Ferien machte. Dann fielen mir plötzlich die Wasserproben ein. Ich hatte noch einen Grund, mich einzumischen.
»Das reicht!«, sagte ich lauter als beabsichtigt. Sanchez und Zedillo sahen mich an, als wäre ich vor ihren Augen aus dem Nichts entstanden. »Sie sind bereits zu weit gegangen. Meine Freundin fährt in ein paar Tagen nach Hause, und ich möchte, dass sie angenehme Erinnerungen an ihren Urlaub mitnimmt - statt sich an Schikanen und Einschüchterung zu erinnern.«
Zu meinem Erstaunen funktionierte es. Die beiden Männer schauten verlegen wie zwei Jungs, die auf dem Schulhof dabei ertappt werden, wie sie sich gegen einen Kleineren verschwören.
»Wir tun nur, was man von uns verlangt«, sagte Sanchez. »Aber wir werden es fürs Erste dabei belassen.« Die beiden Beamten standen auf.
»Sie werden es ein für alle Mal dabei belassen«, sagte Deirdre. »Andernfalls werde ich über die irische Botschaft offiziell Beschwerde gegen Sie einlegen.«
»Ich dachte, Sie wollten Mexiko verlassen«, gab Zedillo zurück, während er und Sanchez auf die Treppe zur Straße zugingen.
Deirdre antwortete nicht.
Die beiden duckten sich unter den Hibiskuszweigen hindurch und gingen die Stufen hinunter.
Mir fiel ein, dass ich noch eine Frage hatte, deshalb stand ich auf und rief Sanchez’ Namen.
Sein Kopf tauchte wieder unter dem Bogengang auf.
»Ich habe vergessen, Sie zu fragen: Wissen Sie, wo ich Bartolomé de Valdivia finden könnte?«
Sanchez runzelte die Stirn. »Wozu müssen Sie ihn noch treffen? Ich habe Ihnen bereits von den Cruzob erzählt.«
»Ich möchte ihm mein Bedauern aussprechen. Und ihm sagen, wie sein Vater trotz der Art seines Todes bis zuletzt seine Würde bewahrt hat.«
Sanchez stöhnte. Der Grund, aus dem ich Bartolomé treffen wollte, würde ihm noch zu schaffen machen, aber er konnte wenig dagegen tun. »Ich glaube, er wohnt in Mexico City. Aber er kommt bestimmt morgen zur Beerdigung nach Mérida. Ich stelle Sie einander vor.«
30
Wir sahen zu, wie die Barkasse aufs Meer hinauspflügte, nach Nordosten, in Richtung Cancun.
»Ich könnte einen Drink vertragen«, sagte Deirdre.
»Bedien dich. Ich brauch nur noch einen Kaffee.«
»Bin sofort zurück«, sagte sie und verschwand in der Wohnung.
Ich ging nun davon aus, dass ich überwacht wurde, seit Ken und ich im Heiligen Brunnen getaucht waren. Es spielte keine Rolle, ob Sanchez’ Geschichte, Marrufo sei bei Ken gewesen, um eine Inventarliste zu vervollständigen, zutraf oder nicht. Ich vermutete, dass das Anwaltsbüro irgendwie mit der Bundespolizei gemeinsame Sache machte.
Deirdre in die Nähe einer Rebellenorganisation der Maya zu rücken war ein matter Versuch, von der Tatsache abzulenken, dass sie in Wahrheit mich im Auge behielten. Mit dieser Aufgabe hatten sie Zedillo betraut, dessen Vorstellung von einem Undercoveragenten so aussah, dass er einen reichen, von Lakaien umgebenen Playboy mimte.
Aber warum beschatteten sie mich? Höchstwahrscheinlich um zu sehen, ob ich derselben Krankheit erlag, die meinen Kollegen getötet hatte. Oder um mich abzufangen, falls ich herauszufinden versuchte, was ihm wirklich zugestoßen war. Mein Besuch in Chichen Itza beunruhigte Sanchez natürlich. Ein Grund mehr, die Wasserproben analysieren zu lassen.
Wussten sie, dass Deirdre bei Dr. Flores in der Clinica Cancun gewesen war? Zweifellos. Aber vielleicht wirkte das Krankenhaus ebenso wie die Anwaltskanzlei daran mit, uns die Wahrheit vorzuenthalten.
Ich hatte meine Verschwörungstheorie reaktiviert. Und zwar in großem Maßstab.
Deirdre kam wieder heraus in die Sonne, in ihrem Glas klirrte Eis, und für mich hatte sie einen frischen Becher Kaffee mitgebracht. »Hoch die Tassen«, sagte sie und hob ihren Drink. »Was für ein
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