Das mechanische Herz
zum Vorschein kamen.
Taya musste all ihren Mut zusammennehmen und sich erst einmal innerlich sammeln, wie sie es auch vor Dienstantritt tat, um sich in den eigentlichen Festsaal vorzuwagen. Auch hier drehten sich fremde Gesichter zu ihr um, und einen Augenblick lang blieb sie wie erstarrt stehen, fragte sich verzweifelt, was sie wohl als nächstes zu tun hätte.
Deshalb war sie sehr erleichtert, als sich eine Frau aus der Menge löste, in der sie ihre Gastgeberin, die Erhabene Viera Octavus, erkannte.
„Taya Ikara!“ Problemlos übertönte Viera das Stimmengewirr im Raum. „Es ist uns eine Ehre, dich hier begrüßen zu dürfen!“ Gedämpfter Beifall folgte ihren Worten. Den Blick fest auf Viera gerichtet, wagte sich Taya weiter in den Saal hinein. Die beiden Frauen trafen sich in der Mitte. Viera streckte die Arme aus, fasste ihren Ehrengast bei den Händen und legte eine Sekunde lang ihre blautätowierte Wange an Tayas Stirn.
„Danke!“, sagte sie laut, um flüsternd hinzuzufügen: „Schau doch nicht so nervös drein. Das ist überhaupt nicht nötig.“
Taya warf Viera ein schiefes Lächeln zu. Sah man ihr so genau an, wie sie sich fühlte? Resolut schob Viera ihren Arm unter den ihres Gastes und führte Taya zu ihrem Mann, einem großen, vornehm wirkenden älteren Herrn mit Silberhaar und vielen feinen Falten im Gesicht. Unwillkürlich verglich Taya ihn mit seiner Gemahlin: Der Dekatur hatte eine sehr viel jüngere Frau geheiratet.
„Caster?“, sagte Viera. „Ich möchte dir Taya Ikara vorstellen.“
Der ältere Dekatur lächelte freundlich. Taya verneigte sich, die behandschuhte Rechte an der Stirn.
„Ich freue mich, dich kennenzulernen, Taya.“ Als Taya sich aufrichtete, nahm Caster ihre Hand, um sie einen Augenblick lang festzuhalten. „Ich kann dir nicht genug danken. Du hast die beiden Menschen gerettet, die mir das Wichtigste im Leben sind.“
Diesmal zuckte Taya nicht zusammen und war froh, dass Alister sie daran gewöhnt hatte, von jemanden aus der oberen Klasse berührt zu werden.
„Ich habe ...“ Plötzlich fielen Taya die Worte wieder ein, die ihr die Zeitung in den Mund gelegt hatte. Nein, die würde sie jetzt nicht wiederholen! „Es war mir ein Vergnügen, Erhabener!“, sagte sie statt dessen.
„Ich bezweifle sehr, dass es ein Vergnügen war, Ikarierin, aber dankbar bin ich dir trotzdem. Komm, ich möchte dich den anderen Ratsmitgliedern vorstellen.“
Viera und er nahmen ihren Ehrengast zwischen sich und führten ihn fort. Wie sehr Taya jetzt ihre Handschuhe zu schätzen wusste, verhinderten sie doch, dass ihre schweißnassen Finger auf Caster Octavus ’ besticktem Seidenärmel hässliche Flecken hinterließen.
„Oh Herrin, hilf mir! Mach, dass ich weder meine Gastgeber noch mich selbst blamiere! „
Ein paar der Dekaturen, die Caster ihr vorstellte, kannte sie bereits; Männer und Frauen, deren Botschaften sie seit Jahren von einem Ort zum anderen beförderte. Keiner von ihnen hatte sich je nach ihrem Namen erkundigt, wenn sie Flügel trug, und keiner schien sie nun, da sie ihre Hand schüttelten, wiederzuerkennen.
Nur Dekatur Forlore lächelte ihr zu wie ein Freund.
„Ich hatte schon mehrmals die Ehre, Taya Ikara zu treffen“, verkündete er fröhlich, indem er sich über Tayas Hand beugte, wo die Wärme seiner Finger ein Loch in den Handschuh bohren zu wollen schien. „Sie hat mich schon oft beeindruckt, aber heute abend, muss ich gestehen, verschlägt mir ihr Anblick die Sprache.“
„Du warst in deinem ganzen Leben noch nie sprachlos, Al“, spottete Viera, was ihr Cousin, der Tayas Hand anscheinend gar nicht mehr freigeben mochte, nicht weiter beachtete.
Taya spürte, wie sich eine anmutige Röte in ihre Wangen stahl. Wie intensiv die Augen des Dekaturs leuchteten, wie gut die Robe aus dunkelgrüner Seide, mit einem Gewirr aus Ranken bestickt, den smaragdgrünen Glanz in ihrer Tiefe zur Geltung brachte! Die inneren Roben schimmerten zartgrün und lila, Gold glitzerte an seinen Händen und im Haar, bis er so hell zu strahlen schien wie einer der unsterblichen Geister der Herrin.
„Wie sehr du irrst, Viera.“ Sanft fuhren Alisters Lippen über Tayas behandschuhten Handrücken. „Heute abend finde ich keine Worte, um meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, denn mein Falke mit den stählernen Flügeln hat sich in einen seidenen Schwan verwandelt.“
„Das reicht, Alister, Taya soll auch noch andere Gäste kennenlernen“, sagte Caster. Taya warf ihm
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