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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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gebt mir einen anständigen Kuss, so ist’s ein guter Junge.«
    Er richtete sich auf und küsste sie gehorsam auf die Wange. Sie legte ihre Hände auf seine Wangen und küsste ihn geradewegs auf den Mund. Die Umarmung erinnerte ihn Gott sei Dank nicht an Hectors Kuss, aber sie war auch so enervierend genug.
    »Ihr seht gut aus, John«, sagte Lady Mumford und trat einen Schritt zurück, um ihn mit Hectors blauen Augen prüfend anzusehen. »Aber müde. Viel zu tun, nehme ich an, nachdem sich das Regiment auf den Umzug vorbereitet?«
    »Sehr viel«, pflichtete er ihr bei und fragte sich, ob wohl ganz London wusste, dass das 47ste einen neuen Posten beziehen würde. Doch natürlich hatte Lady Mumford einen Großteil ihres Lebens im Umfeld des Regiments verbracht;
obwohl ihr Mann und ihr Sohn tot waren, hegte sie weiterhin ein mütterliches Interesse.
    »Indien, habe ich gehört«, fuhr Lady Mumford fort und runzelte sacht die Stirn, während sie den Stoff seines Uniformärmels befühlte. »Ich hoffe doch, Ihr habt Euch schon neue Uniformen bestellt? Einen schönen, leichten Tropenstoff für Rock und Weste und Leinenhosen. Ihr wollt doch den Sommer unter der indischen Sonne nicht bis zum Hals in englische Wolle gepackt verbringen! Glaubt es mir, mein Lieber; ich habe Mumford begleitet, als er’35 dort stationiert war. Die Hitze, die Fliegen und das Essen haben uns beide fast umgebracht. Ich habe einen ganzen Sommer im Hemd verbracht und mich von unseren Dienern mit Wasser übergießen lassen; der arme, alte Wally hatte weniger Glück und musste in voller Montur vor sich hinschwitzen, hat die Flecken nie herausbekommen. Hat nur Whisky und Kokosmilch getrunken - merkt Euch das, mein Lieber, wenn es so weit ist. Nahrhaft und anregend, wisst Ihr, und so viel besser für den Magen als Branntwein.«
    Da er begriff, dass er nur der Stellvertreter für die wahren Empfänger ihrer einsamen Zuneigung war - die Schatten Hectors und seines Vaters -, ertrug er diesen Überfall mit Geduld. Er wusste, dass es für Lady Mumford wichtig war zu reden; wie die Erfahrung ihn jedoch gelehrt hatte, war es eigentlich nicht wichtig, ob er zuhörte.
    Er nahm ihre Hand voll Zuneigung zwischen die seinen, nickte und äußerte dann und wann kleine Laute des Interesses und der Zustimmung, während er mit kurzen Blicken über Lady Mumfords in Spitze gehüllte Schultern hinweg den Rest der Anwesenden betrachtete.

    Zum Großteil die übliche Mischung aus Gesellschaft und Militär sowie ein paar Außenseiter aus der literarischen Welt Londons. Seine Mutter liebte Bücher und hatte einen Hang zum Sammeln von Schreiberlingen, die in bunten Scharen zu ihren Einladungen strömten und sich mit tintenfleckigen Manuskripten - und dem einen oder anderen gedruckten Buch -, die ihrer großzügigen Schutzherrschaft gewidmet waren, für die Reichhaltigkeit ihrer Tafel revanchierten.
    Grey sah sich argwöhnisch nach der langen, ausgemergelten Gestalt Dr. Johnsons um, der das besondere Talent besaß, beim Essen das Wort zu ergreifen, um mit der Deklamation eines neuen, in der Entstehung befindlichen Epos’ zu beginnen und dabei sämtliche Tiefen der Komposition mit weiten, Krümel versprühenden Gesten zu untermalen. Doch der Wortkundler war glücklicherweise abwesend. Das war gut, dachte Grey mit vorübergehend aufgefrischten Lebensgeistern. Er liebte Lady Mumford, und er liebte die Musik, doch ein Diskurs über die Etymologie der Vulgärsprache war nach dem Tag, den er hinter sich hatte, schlicht zu viel des Guten.
    Er erspähte seine Mutter am anderen Ende des Zimmers, wo sie die Serviertische im Blick behielt und sich dabei mit einem hoch gewachsenen Herrn in militärischer Aufmachung unterhielt - seiner Uniform nach der hannoveranische Besitzer der gefiederten Scheußlichkeit, die Grey in der Bibliothek gesehen hatte.
    Benedicta, verwitwete Gräfin Melton, war etliche Zentimeter kleiner als ihr jüngster Sohn, sodass sie etwas unglücklich den mittleren Westenknopf des Hannoveraners auf Augenhöhe hatte. Als sie einen Schritt zurücktrat, um
ihren Nacken zu entspannen, erblickte sie John, und ihr Gesicht erhellte sich.
    Sie ruckte mit dem Kopf, riss die Augen auf und presste die Lippen in einem Ausdruck mütterlicher Befehlsgewalt zusammen, der klarer als jedes Wort sagte: » Komm her und unterhalte dich mit dieser fürchterlichen Person, sodass ich mich um die anderen Gäste kümmern kann!«
    Grey antwortete mit einer ähnlichen Grimasse und einem kaum

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