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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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offensichtlich die Aufgabe hatte, eingeladene Gäste vorzulassen und die Ungebetenen abzuweisen. Innen hatte sich eine Stimme zu einem Lied erhoben, begleitet von Flöten- und Cembaloklängen.
    »O Gott. Heute ist doch nicht Mittwoch, oder, Hardy?«, sagte er flehend, als er die Treppe hinauf auf den Bediensteten zuging, der bei seinem Anblick lächelte und sich verbeugte, während er die Tür öffnete.
    »Doch, Mylord. Schon den ganzen Tag, fürchte ich.«
    Normalerweise genoss er die allwöchentlichen Musikabende seiner Mutter sehr. Doch momentan war ihm nicht danach, sich in Gesellschaft zu begeben. Am besten fuhr
er zurück und verbrachte die Nacht im »Beefsteak« - doch das bedeutete einen anstrengenden Weg durch ganz London, und er war kurz vor dem Verhungern.
    »Ich schlüpfe nur in die Küche durch«, sagte er zu Hardy. »Sagt der Gräfin nicht , dass ich hier bin.«
    »Bestimmt nicht, Mylord.«
    Er stahl sich auf leisen Sohlen ins Foyer, wo er kurz stehen blieb, um das Terrain auszukundschaften. Dank des warmen Wetters standen die Flügeltüren zum großen Salon offen, damit die Insassen nicht erstickten. Die Musik - ein melancholisches, deutsches Duett - würde seine Schritte übertönen, doch während der ein oder zwei Sekunden, die er benötigte, um durch das Foyer in den Flur zur Küche zu spurten, würde er für jedermann sichtbar sein.
    Er schluckte und das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als er die Braten- und Fleischpuddingaromen roch, die aus dem hinteren Teil des Hauses kamen.
    Ein anderer Bediensteter, Thomas, war in der halb geöffneten Tür der Bibliothek zu sehen, die dem Salon gegenüberlag. Er stand mit dem Rücken zur Tür und hatte einen deutschen Militärhelm in der Hand, der mit Gold verziert und mit einem enormen, gefärbten Federbusch versehen war. Offenbar fragte er sich, wo er diesen lächerlichen Gegenstand ablegen sollte.
    Grey drückte sich an die Wand und rückte weiter ins Foyer vor. Er hatte einen Plan. Wenn er Thomas auf sich aufmerksam machen konnte, konnte er den Dienstboten bei der Durchquerung des Foyers als Schild benutzen, sich so auf der Treppe in Sicherheit bringen und es in den Schutz seines Zimmers schaffen, während Thomas ihm diskret ein Tablett aus der Küche holte.

    Dieser Fluchtplan wurde jedoch dadurch vereitelt, dass seine Cousine Olivia oben auf der Treppe erschien, elegant in bernsteinfarbener Seide, das blond glänzende Haar mit einer Spitzenhaube bedeckt.
    »John!«, rief sie und strahlte bei seinem Anblick. »Da bist du ja! Ich hatte so gehofft, dass du rechtzeitig kommen würdest.«
    »Rechtzeitig wozu?«, fragte er mit einer bösen Vorahnung.
    »Um zu singen natürlich.« Sie hüpfte die Treppe herunter und nahm ihn liebevoll beim Arm. »Wir haben einen deutschen Abend - und du singst so schön, Johnny!«
    »Schmeicheleien werden dir nicht helfen«, sagte er und lächelte unwillkürlich. »Ich kann nicht singen; ich verhungere. Außerdem muss es doch fast vorbei sein, oder?« Er wies kopfnickend auf die Standuhr an der Treppe, die ein paar Minuten nach elf anzeigte. Das Nachtmahl wurde fast immer um halb zwölf serviert.
    »Wenn du singst, warten sie bestimmt, um dich zu hören. Essen kannst du hinterher. Tante Bennie hat einen großartigen Imbiss aufgetischt - den größten Fleischpudding, den ich je gesehen habe, mit Wacholderbeeren, und Lammkoteletts mit Spinat und einen Coq au vin und diese absolut widerlichen Würste - für die Deutschen, weißt du …«
    Bei dieser verlockenden Auflistung der Genüsse knurrte Greys Magen laut. Dennoch hätte er abgelehnt, hätte er nicht in dieser Sekunde durch die offene Flügeltür des Salons eine ältere Frau erspäht, die eine Straußenfeder in ihrer Perücke trug.

    Die Menge brach in Applaus aus, doch als spürte sie den Ruck, mit dem er sie erkannte, wandte die Dame ihren Kopf zur Tür, und ihr Gesicht leuchtete vor Freude, als sie ihn entdeckte.
    »Sie hat gehofft, dass du kommen würdest«, murmelte Olivia hinter ihm.
    Es war nicht zu ändern. Mit ausgesprochen gemischten Gefühlen ergriff er Olivias Arm und führte sie die restlichen Stufen hinunter, während Hectors Mutter aus dem Salon eilte, um ihn zu begrüßen.
    »Lady Mumford! Stets zu Diensten, Ma’am.« Er lächelte und beugte sich über ihre Hand, doch sie wollte von solcher Förmlichkeit nichts wissen.
    »Unsinn, mein Lieber«, sagte sie mit jener warmen, kehligen Stimme, in der ein Echo der Stimme ihres toten Sohnes nachklang. »Kommt und

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