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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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einer Weile ließ Grey den Arm des Jungen los, und sie durchschritten schweigend das weniger geschäftige Ende der Straße. Grey spürte, wie ihn seine vorherige Anspannung erneut überkam, umso unangenehmer jetzt, weil das kurze Zwischenspiel vor Byrds Auftauchen ihm alles wieder in Erinnerung gerufen hatte.
    Er hatte es vergessen gehabt. Kaum überraschend; er hatte sich alle Mühe gegeben, jene Jahre nach Hectors Tod zu vergessen. Er hatte das Jahr nach Culloden wie ein Schlafwandler verbracht, in Cumberlands Truppe, während diese die Highlands von den Rebellen säuberte, hatte
seinen Soldatendienst getan, allerdings wie im Traum. Doch als er schließlich nach London zurückgekehrt war, hatte er das Erwachen in einer Welt, in der es keinen Hector gab, nicht mehr verhindern können.
    In jener schlimmen Zeit war er hierher gekommen und hatte im besten Falle Ablenkung, im schlimmsten das Vergessen gesucht. Letzteres hatte er gefunden, sowohl im Alkohol als auch in körperlicher Lust, und ihm war klar, wie viel Glück er gehabt hatte, beide Erfahrungen unversehrt zu überleben - obwohl damals das Überleben die letzte seiner Sorgen gewesen war.
    Doch was er in den Jahren, die seitdem vergangen waren, vergessen hatte, war der schlichte, unaussprechliche Trost eines Daseins - und mochte es noch so kurz sein - ohne Verstellung. Er hatte das Gefühl, bei Byrds Auftauchen eine Maske aufgesetzt zu haben, sie jetzt aber ein wenig schief zu tragen.
    »Mylord?«
    »Ja?«
    Byrd holte tief und zitternd Luft, sodass er sich nach dem Jungen umsah. Trotz der Dunkelheit war seinen geballten Fäusten anzusehen, wie heftig seine Gefühle waren.
    »Mein Bruder. Jack. Glaubt Ihr, er - seid Ihr hier, um ihn zu suchen?«, platzte Byrd heraus.
    »Nein.« Grey zögerte, dann berührte er Byrd sanft an der Schulter. »Habt Ihr denn irgendeinen Grund zu der Annahme, dass er hier sein könnte - oder an einem ähnlichen Ort?«
    Byrd schüttelte den Kopf, nicht um die Frage zu verneinen, sondern aus schierer Hilflosigkeit.

    »Ich weiß es nicht. Ich - ich hätte nie gedacht … ich weiß es nicht, Sir, das ist die Wahrheit.«
    »Hat er eine Frau? Ein Mädchen vielleicht, mit dem er ausgeht?«
    »Nein«, sagte Byrd elend. »Aber Jack ist ein sparsamer Mensch. Hat immer gesagt, dass er erst heiraten werde, wenn er sich eine Frau leisten könne, warum also vorher den Ärger herausfordern?«
    »Klingt, als sei Euer Bruder ein kluger Mann«, sagte Grey mit dem Hauch eines Lächelns in der Stimme. »Und ein Ehrenmann.«
    Byrd holte noch einmal tief Luft und wischte sich flüchtig mit dem Handrücken über die Nase.
    »Aye, Sir, das ist er.«
    »Nun denn.« Grey wandte sich ab, wartete aber noch einen Moment, bis Byrd sich ebenfalls in Bewegung setzte.
    Das »Lavender House« war groß, aber alles andere als auffällig. Nur die Marmorkübel mit duftendem Lavendel, die zu beiden Seiten der Tür standen, unterschieden es von den Häusern zur Rechten und zur Linken. Die Vorhänge waren zugezogen, doch dann und wann gingen Schatten dahinter vorbei, und das Murmeln von Männerstimmen und gelegentliches Gelächter sickerte durch den Samt.
    »Es hört sich genauso an wie das, was in diesen Herrenclubs an der Curzon Street vor sich geht«, sagte Byrd, der leicht verwundert klang. »Das habe ich schon einmal erlebt.«
    »Es ist ja auch ein Herrenclub«, sagte Grey ein wenig grimmig. »Für eine gewisse Sorte von Herren.« Er zog seinen Hut ab, band sein Haar los und schüttelte es aus,
sodass es ihm über die Schultern hing; die Zeit für Verkleidungen war vorüber.
    »Jetzt müsst Ihr heimgehen, Tom.« Er wies zur anderen Seite des Parks. »Seht Ihr das Licht da hinten am Ende? Gleich dahinter ist eine Gasse; sie führt Euch zu einer Hauptstraße. Hier - nehmt etwas Geld für eine Droschke mit.«
    Byrd nahm die Münze in Empfang, schüttelte aber den Kopf.
    »Nein, Mylord. Ich gehe mit Euch bis zur Tür.«
    Er sah Byrd überrascht an. Aus den zugehängten Fenstern drang so viel Licht, dass er sowohl die getrockneten Tränen in Byrds Gesicht sehen konnte als auch die entschlossene Miene dahinter.
    »Ich will, dass diesen sodomitischen Schweinen klar ist, dass jemand weiß, wo Ihr seid. Nur für alle Fälle, Mylord.«
     
    Auf sein Klopfen hin öffnete sich die Tür sofort und gab einen Butler in Livree preis, der Greys Garderobe äußerst geringschätzig musterte. Dann hob sich sein Blick und fiel auf sein Gesicht, und Grey registrierte die kaum merkliche

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