Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
und er stand so dicht bei Grey, dass sich sein Oberschenkel gegen Greys presste. Er beugte sich vor, die Wärme seines Atems strich über Greys Ohr, und seine Zungenspitze berührte dessen Rundung mit einem knisternden Geräusch wie der Funke, der an trockenen Tagen an den Fingern aufblitzt, wenn man Metall berührt.
»Kommt«, murmelte er. Er trat zurück und zog Grey hinter sich her in das Zimmer.
Es war sauber und schlicht möbliert, doch er sah nichts außer den dunklen Augen dicht vor ihm und der Hand, die jetzt an seinem Arm hinunterglitt, um ihre Finger in den seinen zu verschränken, ihre dunkle Farbe ein verblüffender Kontrast zu seiner hellen Haut, die Handfläche breit und hart an der seinen.
Dann trat der junge Mann zurück. Mit einem Lächeln ergriff er den Saum seines Hemdes und zog es sich über den Kopf.
Grey fühlte sich, als würde er von seiner Halsbinde erwürgt. Es war kühl im Zimmer, und doch brach ihm am ganzen Körper der Schweiß aus, heiß und feucht in der Mulde seiner Wirbelsäule, schlüpfrig in den Falten seiner Haut.
»Was wünscht Ihr, Sir?«, flüsterte der junge Mann nach wie vor lächelnd. Er ließ eine Hand sinken und streichelte sich einladend selbst.
Grey hob langsam die Hand und kämpfte kurz mit dem Verschluss seiner Halsbinde, bis sie sich plötzlich löste und sein Hals entblößt, nackt und verletzlich zurückblieb. Kühle Luft traf auf seine Haut, als er seinen Rock ablegte und sein Hemd öffnete; er spürte, wie sich auf seinen Armen eine Gänsehaut bildete und dann an seiner Wirbelsäule entlangraste.
Der junge Mann kniete jetzt auf dem Bett. Er wandte Grey den Rücken zu und räkelte sich wie eine Katze. Das Regenlicht des Fensters spielte auf den breiten, flachen Muskeln seiner Oberschenkel und Schultern, in der Rinne seines Rückens und auf den gefurchten Pobacken. Er sah
sich um, die Augenlider halb gesenkt, ein schläfriger Blick unter langen Wimpern.
Die Matratze gab unter Greys Gewicht nach, und der Mund des jungen Mannes bewegte sich unter dem seinen, sanft und feucht.
»Soll ich reden, Sir?«
»Nein«, flüsterte Grey. Er schloss die Augen und drückte den jungen Mann mit Hüften und Händen nieder. »Seid still. Tut so … als wäre ich nicht hier.«
11
Deutscher Rotwein
Es gab, so schätzte Grey, annähernd tausend Weinhandlungen in London. Zog man allerdings nur jene in Betracht, die mit Qualitätsweinen handelten, war die Anzahl wohl schon eher zu bewältigen. Da sich eine kurze Nachfrage bei seinem eigenen Weinlieferanten als fruchtlos erwies, beschloss er, einen Expertenrat einzuholen.
»Mutter - als du letzte Woche deinen deutschen Abend gegeben hast, hast du da zufällig deutschen Wein aufgetischt?«
Die Gräfin saß in ihrem Boudoir und las ein Buch, die bestrumpften Füße gemütlich auf den zotteligen Rücken ihres Lieblingshundes gestützt, eines betagten Spaniels namens Eustace, der schläfrig ein Auge öffnete und freundlich hechelte, als Grey eintrat. Sie blickte bei Greys Erscheinen auf, schob sich die Lesebrille in die Stirn und blinzelte ein wenig, während sie aus der Welt der gedruckten Seiten auftauchte.
»Deutschen Wein? Nun, ja; wir hatten einen schönen Rheinwein zum Lamm. Wieso?«
»Keinen Rotwein?«
»Drei Sorten - aber keine davon war deutsch. Zwei
Franzosen und einen ziemlich jungen Spanier, unreif, aber zu den Würstchen hat er gut gepasst.« Benedicta fuhr sich erinnernd mit der Zungenspitze über die Oberlippe. »Hauptmann von Namtzen schien die Würstchen nicht zu mögen; sehr merkwürdig. Aber er ist ja auch aus Hannover. Womöglich habe ich die Würstchen versehentlich auf preußische oder sächsische Art zubereiten lassen, und er hat es als Beleidigung aufgefasst. Die Köchin meint wohl, deutsch ist deutsch.«
»Die Köchin ist der festen Überzeugung, dass jeder, der kein Engländer ist, Froschfresser ist; weitere Unterschiede gibt es für sie nicht.« Indem er die Vorurteile der Köchin fürs Erste abtat, brachte Grey unter einem Haufen zerfledderter Bücher und Manuskripte einen Hocker zum Vorschein und setzte sich darauf.
»Ich bin auf der Suche nach einem deutschen Rotwein - sehr reif, fruchtiges Bouquet, ungefähr von der Farbe dieser Rosen.« Er wies auf die Vase karmesinroter Rosen, die ihre Blütenblätter auf dem Mahagonisekretär seiner Mutter verstreuten.
»Wirklich? Ich glaube nicht, dass ich schon je einen deutschen Rotwein zu Gesicht bekommen habe, ganz zu schweigen davon, dass ich ihn
Weitere Kostenlose Bücher