Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
getrunken hätte - obwohl es wahrscheinlich welche gibt.« Die Gräfin ließ das Buch auf ihren Schoß sinken. »Schmiedest du Pläne für dein Abendessen? Olivia hat gesagt, du hättest Joseph eingeladen, mit dir und deinen Freunden zu dinieren - das war sehr liebenswürdig von dir, mein Guter.«
Grey fühlte sich, als hätte man ihm plötzlich einen Schlag in die Magengrube versetzt. Himmel, er hatte ganz vergessen, dass er Trevelyan eingeladen hatte.
»Aber warum in aller Welt willst du deutschen Wein?« Die Gräfin legte den Kopf zur Seite und zog neugierig die Augenbrauen hoch.
»Das ist eine andere Angelegenheit, die nichts damit zu tun hat«, sagte Grey hastig. »Beziehst du deinen Wein immer noch bei Canel’s?«
»Zum Großteil. Dann und wann bei Gentry’s, und manchmal auch bei Hemshaw and Crook. Aber lass mich überlegen …« Sie fuhr sich langsam mit der Zeigefingerspitze über den Nasenrücken, dann drückte sie auf ihre Nasenspitze, weil sie zum gewünschten Schluss gekommen war.
»Es gibt eine neuere Weinhandlung. Ziemlich klein, in der Fish Street. Keine besonders angenehme Gegend, aber sie führen einige ganz außergewöhnliche Weine; Dinge, die man nirgendwo anders findet. An deiner Stelle würde ich dort einmal nachfragen. Sie heißen Fraser & Cie.«
»Fraser?« Es war schließlich ein recht häufiger schottischer Name. Dennoch verspürte er bei seinem bloßen Klang einen Stoß der Aufregung. »Ich werde mich dort erkundigen. Danke, Mutter.« Er beugte sich vor, um ihr einen Kuss zu geben, und atmete dabei ihr charakteristisches Parfum ein: Maiglöckchen mit Druckerschwärze vermischt, wobei der letztere Duft intensiver war als gewöhnlich, weil das Buch auf ihrem Schoß noch so neu war.
»Was liest du denn da?«, fragte er und warf einen Blick darauf.
»Oh, der gute Edmund hat sich wieder einmal an leichter Unterhaltung versucht«, sagte sie und hielt ihm die Titelseite entgegen: Eine philosophische Erörterung unserer
Vorstellungen von Schönheit und Wahrhaftigkeit von Edmund Burke. »Ich glaube nicht, dass es dir gefallen würde - viel zu frivol.« Sie ergriff ihr silbernes Taschenmesser und schnitt zielsicher die nächste Seite auf. »Ich habe aber eine Neuausgabe von John Clellands Fanny Hill , falls du auf der Suche nach Lesestoff bist. Du weißt schon, Memoiren eines Freudenmädchens .«
»Sehr amüsant, Mutter«, sagte er nachsichtig und kraulte Eustace hinter den Ohren. »Hast du vor, den Clelland zu lesen, oder willst du ihn nur kunstvoll im Salon platzieren, um bei Lady Roswell einen Schockzustand hervorzurufen?«
»Oh, was für eine gute Idee!«, sagte sie und warf ihm einen beifälligen Blick zu. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Unglücklicherweise steht der Titel nicht auf dem Deckblatt, und sie ist viel zu dumm und uninteressiert, um einfach so ein Buch in die Hand zu nehmen und es aufzuschlagen.«
Sie streckte den Arm aus und kramte in dem Bücherstapel auf ihrem Sekretär herum. Dann zog sie ein ansehnliches, in Kalbsleder gebundenes Quartbändchen hervor und reichte es ihm.
»Es ist eine Spezialausgabe«, erklärte sie. »Unbedruckter Rücken, neutrale Titelseite. Damit man es in langweiliger Gesellschaft lesen kann, vermute ich, ohne Verdacht zu erregen - zumindest solange man die Illustrationen bedeckt hält. Aber warum nimmst du es nicht? Ich habe es schon gelesen, als es erschienen ist, und du brauchst doch ein Geschenk für Josephs Junggesellenabschied. Es kommt mir sehr angemessen vor, wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich von solchen Anlässen höre.«
Er war im Begriff gewesen aufzustehen, hielt aber inne, das Buch in der Hand.
»Mutter«, sagte er vorsichtig. »Was Mr. Trevelyan betrifft. Glaubst du, Livy ist sehr in ihn verliebt?«
Da blickte sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, schloss behutsam ihr Buch, nahm die Füße von Eustaces Rücken und setzte sich gerade hin.
»Wieso?«, fragte sie in einem Tonfall, dem es gelang, die gesamte Wachsamkeit und den ganzen zynischen Argwohn gegenüber dem männlichen Geschlecht auszudrücken, der die natürliche Gabe einer Frau ist, die vier Söhne aufgezogen und zwei Ehemänner begraben hat.
»Ich … habe Grund zu der Annahme, dass Mr. Trevelyan … eine irreguläre Beziehung hat«, sagte er vorsichtig. »Es ist aber noch nicht ganz sicher.«
Die Gräfin atmete tief durch, schloss einen Moment die Augen, dann öffnete sie sie und betrachtete ihn mit einem klaren, blassblauen Blick
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