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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Hauch von Rosa aufgelockert wurden. In seiner gegenwärtigen Stimmung erinnerte es Grey an die
letzten Spuren des Lebens, das aus den Wangen einer Leiche wich.
    Caswell war entzückt über seinen Teil der Abmachung gewesen, und er hatte auch allen Grund dazu. Grey hatte ihm nichts von seinen Abenteuern in Medmenham verschwiegen außer dem Namen des Mannes, der George Everett getötet hatte. An dieser Stelle hatte er nur gesagt, dass der Mann eine Kutte getragen hatte und maskiert gewesen war; unmöglich mit Gewissheit zu sagen, wer es gewesen war.
    Er hatte keine Bedenken, Georges Namen auf diese Weise zu beschmutzen; seiner Meinung nach hatte George das bestens selbst hinbekommen - und wenn eine posthume Enthüllung seiner Handlungen dabei helfen konnte, Unschuldige zu retten, so war dies vielleicht eine kleine Kompensation für die unschuldigen Menschenleben, die Everett als Preis seiner Ambitionen ausgelöscht oder ruiniert hatte.
    Was Dashwood und die anderen anging … sollten sie doch für sich selbst einstehen. Wer mit dem Teufel speist, muss einen langen Löffel mitbringen. Grey lächelte schwach, als er in Gedanken dieses schottische Sprichwort hörte. Jamie Fraser hatte das bei ihrer ersten gemeinsamen Mahlzeit gesagt - und Grey dabei in der Rolle des Teufels gesehen, vermutete er, obwohl er nicht gefragt hatte.
    Grey war kein gläubiger Mensch, doch er hatte eine hartnäckige Vision: einen Racheengel, der eine Waage beaufsichtigte, auf der die Taten eines Menschen abgewägt wurden - die guten auf der einen Seite, die schlechten auf der anderen. Und vor diesem Engel stand George Everett, nackt, gefesselt, die Augen weit aufgerissen, während er
wartete, auf welcher Seite das Zünglein schließlich zur Ruhe kommen würde. Er hoffte, dass das, was er in dieser Nacht getan hatte, George gutgeschrieben würde, und fragte sich flüchtig, wie lange dieses Abwägen wohl weitergehen mochte und ob es stimmte, dass die Taten eines Mannes ihn überdauerten.
    Jamie Fraser hatte ihm einst vom Fegefeuer erzählt, jener katholischen Vorstellung von einem Ort vor dem Jüngsten Gericht, wo die Seelen nach dem Tod eine Zeit verweilten und wo das Schicksal einer Seele noch durch die Gebete und Messen in ihrem Namen beeinflusst werden konnte. Vielleicht war es ja so; ein Ort, an dem die Seele abwartete, während die Handlungen ihres Lebens zu Ende geführt wurden und die unerwarteten Konsequenzen und Komplikationen einander im Lauf der Jahre folgten wie eine Reihe purzelnder Dominosteine. Doch das hätte bedeutet, dass ein Mensch nicht nur für das verantwortlich war, was er bewusst getan hatte, sondern auch für alles Gute und Böse, was in alle Ewigkeit daraus folgte, unbeabsichtigt und unvorhergesehen; ein schrecklicher Gedanke.
    Er richtete sich auf, fühlte sich kraftlos und überdreht zugleich. Er war erschöpft und doch hellwach - der Gedanke an Schlaf war ihm im Leben noch nicht so abwegig vorgekommen. Jeder Nerv war wund, und seine Muskeln schmerzten vor nervöser Anspannung.
    Um ihn herum war es still im Haus, dessen Besucher noch den Schlaf der Betäubung durch Wein und befriedigte Lust schliefen. Regen begann zu fallen, und das leise Klimpern der Regentropfen, die auf das Glas trafen, brachte einen harschen, frischen Geruch mit, der kalt
durch die Risse des Fensterrahmens drang und wie ein Messer durch die abgestandene Luft im Haus und den Nebel in seinem Hirn fuhr.
    »Nichts, was jetzt besser ist, als ein langer Spaziergang nach Hause, um die Spinnweben wegzufegen«, murmelte er vor sich hin. Er hatte seinen Hut irgendwo liegen gelassen - eventuell in der Bibliothek -, doch er hatte nicht das Bedürfnis, sich auf die Suche danach zu begeben. Er ging über die Treppe hinunter zur ersten Etage und über die Galerie auf die Haupttreppe zu, die ihn zum Eingang führen würde.
    Die Tür eines der Zimmer auf der Galerie stand offen, und als er daran vorbeiging, fiel ein Schatten über die Dielen zu seinen Füßen. Er blickte auf und sah einem jungen Mann in die Augen, der in der Tür stand, nur mit seinem Hemd bekleidet, die dunklen Locken lose auf den Schultern. Der junge Mann ließ seine Augen über ihn gleiten, und er spürte ihre Hitze auf seiner Haut.
    Er wollte weiterlaufen, doch der junge Mann streckte die Hand aus und griff nach seinem Arm.
    »Kommt herein«, sagte er leise.
    »Nein, ich -«
    »Kommt. Nur einen Moment.«
    Der junge Mann trat auf die Galerie hinaus. Seine nackten Füße waren lang und elegant,

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