Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
ich es getan, aber wie du schon sagst, war ich nicht in der Lage, mich um jemanden zu kümmern. Ich biete es jetzt an.«
»Und was ist mit der Tatsache, dass das Gesetz es ihr verbietet, in der Stadt zu leben?«, hakte Meuric nach.
»Wie viele andere Neuseelen sind in den letzten achtzehn Jahren geboren worden?« Sams Stimme war so hart wie Eis. »Sie ist die einzige. Das Gesetz wurde gegen sie geschaffen. Es ist bestenfalls ungastlich und schlimmstenfalls eine Todesstrafe, vor allem, da wir nicht wissen, ob sie wiedergeboren wird. Und ich glaube, darüber gibt es ein anderes Gesetz.«
Ich beobachtete Sam und hoffte auf Antworten auf eine Million Fragen – es gab ein Gesetz über meinen Tod? –, aber er reagierte nicht auf meinen Blick.
Die Ratsmitglieder sahen einander an. Sine zuckte als Erste die Achseln. »Ich war von Anfang an nicht für das Gesetz. Wenn Sam sich um Ana kümmern will, sollte man es ihm erlauben. Sie tut niemandem weh.« Sie schenkte mir ein warmes Lächeln, aber ich schaffte es nicht, es zu erwidern.
Meuric nickte. »Ich nehme an, es wäre eine Chance für die junge Ana, etwas mehr Führung zu haben. Li war ohne Zweifel eine fähige Lehrerin, aber vielleicht wird Sam in der Lage sein, Ana dabei zu helfen herauszufinden, wer sie ist, damit sie, wie er sagte, ein nützliches Mitglied der Gemeinschaft werden kann.«
»Ich brauche nicht noch einen Elternteil«, begann ich, aber Sam unterbrach mich abermals.
»Dann werdet ihr das Gesetz aufheben?« Wenn er nicht auf meiner Seite gewesen wäre, hätte ich ihm eine geklebt, weil er mich ständig unterbrach. Wie konnte ich ich selbst sein, wenn ich über mein eigenes Leben nicht mitreden durfte?
»Frase? Antha?« Meuric sah die beiden anderen Ratsmitglieder an. »Wir brauchen ein einstimmiges Urteil, da die anderen nicht hier sind.«
»Unter der Bedingung, dass sie sich an eine Sperrstunde hält und sich Lektionen und Prüfungen unterwirft.« Frase richtete seinen Blick auf Sam. »Natürlich um sicherzustellen, dass Ana eine gute Ausbildung erhält. Wenn sie nach ihrem Tod wiedergeboren wird, dann werden wir eine wertvolle neue Stimme gewonnen haben. Wenn nicht, nun, wir alle wissen, wie gerne Sam neue Projekte annimmt. Dieses sollte ihn für ein Leben beschäftigt halten, und sollten weitere Neuseelen erscheinen, wird er die nötige Erfahrung haben, auch ihnen beizustehen.«
Ich presste hinter dem Rücken die Hände zusammen. Das Brennen der gerade verheilten Haut war das Einzige, was mich davon abhielt auszuflippen. Ich war kein Projekt . Ich war kein Experiment . Ich war kein verdammter Schmetterling .
»Für mich klingt das vernünftig.« Antha hob das Kinn und sah mich an. »Wirst du dich an diese Bedingungen halten?«
Mein Kiefer schmerzte, weil ich die Zähne derart zusammenbiss,
aber ich verkniff mir eine Beratung mit Sam, um zu hören, was er dachte. Ich brauchte seine Führung nicht. »Klar.«
»Dann wäre das geregelt.« Meuric stemmte sich auf den Armlehnen seines Stuhls hoch. »Ana wird bei Sam als seine Schülerin bleiben. Es werden monatlich Fortschrittsberichte vom Rat erwartet und überprüft werden. Warum kommt ihr nicht beide morgen Früh ins Rathaus? Um die zehnte Stunde. Wir werden bei allen anderen vorstellig werden und die letzten Einzelheiten regeln.«
Keine Frage oder Einladung.
Nach einer Runde übertrieben höflicher Willkommensbekundungen – willkommen daheim und willkommen in Heart – verließen die Ratsmitglieder das Wachhaus ebenso wie Corin.
Sam und ich hoben unsere Taschen auf. Dabei sah er mir kurz in die Augen, bevor er auf die Tür deutete. Ich konnte an seiner Miene nicht erkennen, ob er zufrieden mit dem Urteil war oder nicht, bis er sagte: »Das hatten sie geplant.«
KAPITEL 8
Lied
»Wie meinst du das?«
Wir traten auf eine breite Allee mit Nadelbäumen zu meiner Linken, zwischen denen weiße Steinhäuser zu sehen waren. Kleinere Straßen wanden sich durch die Bäume, und die Grundstücke, auf denen die Häuser standen, schienen recht groß zu sein.
Sam deutete auf ein buntes Durcheinander von Gebäuden rechts von mir, das sich bis ans andere Ende der Stadt erstreckte. »Das ist das Industrieviertel. Lagerhäuser, Mühlen, Fabriken.«
»Wer arbeitet hier?«
»Wer will, was notwendig ist. Oder zum Beispiel, wenn du Stoffballen brauchst, kannst du sie am Markttag kaufen, da es einige Leute gibt, die gern welche machen und die mehr produzieren, als sie verbrauchen können. Es ist ihre
Weitere Kostenlose Bücher