Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
Sam, der seinen SAK aus der Tasche kramte. »Li hat mir nicht beigebracht, wie man liest.«
Sam schnaubte und ging auf die andere Seite des Raums, um den Rat zusammenzurufen.
Es verging eine halbe Stunde, bis die ersten Leute eintrafen. Corin hatte Zottel und die Reisevorräte in einen nahen Stall gebracht, und Sam und ich mussten versprechen, nicht
wegzugehen. Das taten wir auch nicht, denn ich wusste, dass Sam nirgendwo hingehen würde, und mir war nicht danach zu Mute, ohne ihn durch die Stadt zu wandern.
Das erste Ratsmitglied, das erschien, war eine Frau von vielleicht Ende achtzig. Da Li mich von allem ferngehalten hatte, hatte ich als Anhaltspunkt nur Bilder von Menschen verschiedener Altersstufen. Diese Frau hatte graues, zu einem straffen Knoten gebundenes Haar und ein knittriges, von zahllosen kleinen Falten überzogenes Gesicht, die sie aber eher würdevoll als alt erscheinen ließen. Sie stellte sich als Sine vor und nahm auf einem der Stühle an der Seite der Wachstation Platz.
Geysir-Sine. Ich war baff.
Meuric kam als Nächster. Er sah jünger aus als fünfzehn, aber abgesehen von Notfällen musste man wegen der Körpergröße und der Hormone für einen Job sein erstes Quindec hinter sich haben. Zumindest hatte ich das gehört.
Obwohl Meuric nicht größer war als ich und mit seinem Kinn und den Ellbogen irgendwie spitz wirkte, verrieten seine tief liegenden Augen sein wahres Alter. Ich hatte mich noch nie bedeutungsloser gefühlt als jetzt, da er mich ansah. Sam hatte gesagt, Meuric sei der Vorsitzende des Rates, daher war er derjenige, den ich wirklich beeindrucken musste.
Frase, der Li von Ciana erzählt hatte, und Antha gesellten sich zu ihnen.
Sam sagte: »Diese Regel wurde ganz klar gemacht, um Ana aus Heart auszuschließen. Es ist grausam und ungerecht, sie auszuschließen, nur weil sie keine fünftausend Jahre gelebt hat.«
Meuric kratzte sich am Kinn und sah nachdenklich aus. »Wenn ich mich recht entsinne, war der Grund derjenige, dass niemand wusste, ob weitere Neuseelen geboren werden würden. Was geschieht, wenn Ana nicht die einzige ist? Können
wir sie alle unterbringen? Kann unsere Gemeinschaft sie unterstützen?«
Sam warf mir einen warnenden Blick zu, bevor ich den Mund aufmachen konnte.
Sie. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und stellte mich neben meine Taschen. Es gab kein sie . Es gab nur mich .
»Es galt nicht, Ana auszugrenzen, sondern unsere Stadt zu schützen.« Antha fuhr sich durch die Haare. »Erinnerst du dich, wie unbeholfen wir waren, als wir damals in Heart ankamen? Wir waren so jung wie Ana.«
»Ich werde eure Stadt schon nicht zerstören.« Ich runzelte wütend die Stirn und ignorierte Sams flehenden Blick. »Ich will nichts verändern oder eure Abläufe stören.«
»Das hast du bereits getan«, erklärte Frase. »Durch deine bloße Existenz.«
»Gebt Li und Menehem die Schuld. Ich hatte nichts damit zu tun.« Ich versuchte, mich größer zu machen, aber da ich neben Sam stand, war das zwecklos. »Mir scheint, dass ihr euer Leben wegen meiner Existenz selbst mehr stört und verändert, als ich es getan habe. Ich war achtzehn Jahre lang fort, und ihr macht in meiner Abwesenheit Gesetze …«
»Ich denke, was Ana zu sagen versucht«, unterbrach mich Sam, »ist dies: Abgesehen von ihrer Geburt, für die sie nichts konnte, hat sie niemanden gestört.«
»Bis auf Li«, bemerkte Antha.
Sine nickte. »Li hat sich dafür entschieden, sich ihrer Verantwortung zu stellen, im Gegensatz zu Menehem. Das war edel von ihr.«
Das war nicht die Geschichte, die ich gehört hatte.
»Wenn Li es nicht getan hätte«, warf Sam ein, »dann jemand anders. Jemand, der vielleicht begriffen hätte, dass Ana in einigen Jahren erwachsen und zu einem Mitglied unserer
Gemeinschaft werden würde. Sie hat ihre eigenen nützlichen Fähigkeiten, aber sie kann ihren Beitrag nicht leisten, wenn man es ihr nicht erlaubt.«
»Hättest du sie aufgenommen?«, fragte Meuric. »Nein, du warst damals ebenfalls ein kleines Kind. Das war ein bemerkenswertes Jahr, wenn ich mich recht erinnere. Du am ersten Tag und Ana einige Wochen später. Zwei Geburten in diesem Jahr. Ich erinnere mich daran, weil ich drei Tage nach Anas Ankunft starb. Schock ist schlecht für alte Herzen.«
Ich warf einen Blick zu Sam. Hatte er nicht gesagt, wir hätten einen gemeinsamen Geburtstag? Warum sollte Meuric etwas anderes sagen?
Sam schien es nicht zu bemerken. »Wenn es mir möglich gewesen wäre, hätte
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