Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
hast.«
»Bist du sicher?«
»Wenn irgendwas passiert, bist du da, um mich zu retten.«
Er ließ ein Lächeln aufblitzen, und während der nächsten zwei Stunden spielte ich und mühte mich, die Musik auf Papier zu übertragen, während Sam Notizen machte und hier und da ein zustimmendes »Hm« hören ließ.
»Das ist viel schwerer, als ich gedacht habe«, gestand ich, als wir eine Mittagspause machten. »Es ist noch nicht mal ein kompliziertes Lied.«
»Ich denke, du wirst feststellen, dass die einfachen Dinge häufig die schwersten sind. Alles wird darin sichtbar. Alles zählt.« Er schob sein Notizbuch über den Tisch. »Noch eine Stunde üben, bevor wir in die Bibliothek gehen?«
Das war ein gutes Zeichen. Die ganze letzte Woche hatte er mich praktisch vom Klavier gerissen, damit er zurück an seine Recherchen konnte, obwohl er nie sagte, was er so dringend wissen wollte. Sosehr ich herausfinden wollte, was Menehem sonst noch in seinen Tagebüchern geschrieben hatte, war ich doch glücklicher, dass Sam fast wieder der Alte war. Ich hatte achtzehn Jahre gewartet, um etwas über meinen Vater zu erfahren, da konnte ich auch noch eine Stunde länger warten.
»Das klingt perfekt.« Ich beugte mich vor, um zu sehen, was in seinem Notizbuch stand. Kritzeleien und Notenfolgen starrten mir entgegen. »Was ist das?«
»Ein paar Punkte deiner Musik, über die wir sprechen sollten.«
Ich sackte in mich zusammen. »Es war schrecklich, nicht wahr?« Er ließ mich stundenlang daran arbeiten, bevor er mir das sagte? Ich wusste nicht, ob ich wütend oder am Boden zerstört sein sollte.
Ich wollte nach oben laufen und meine Scham verbergen, aber dadurch würde ich nicht besser werden. Stattdessen griff ich mir das Notizbuch und ging in Richtung Wohnzimmer. Ich konnte es genauso gut hinter mich bringen.
»Ich fand es ganz hübsch.« Er berührte mich am Ellbogen. »Hast du überhaupt gelesen, was ich geschrieben habe? Oder ziehst du einfach nur voreilige Schlüsse?«
»Was glaubst du denn?« Ich drückte ihm das Notizbuch an die Brust. »Du hast nichts darüber gesagt, und ich habe gerade erst angefangen mit der Musik. Ich wusste, dass es nicht perfekt sein würde, aber diese Seite ist voll. Und die nächste bestimmt auch.«
Er warf mir einen erschöpften Blick zu, als er die Hände um das Notizbuch schloss. »Nichts ist perfekt, selbst dann nicht, wenn du mehrere Leben lang gespielt hast.« Ohne auf mich zu warten, marschierte er zurück ins Wohnzimmer und legte das Notizbuch auf seinen Hocker. »Ich weiß, dass du denkst, dass man beim ersten Mal entweder umwerfend oder ein Versager ist, aber so ist es nicht. Nichts ist so. Ja, da ist noch Luft nach oben, um dieses Stück zu verbessern, aber das heißt nicht, dass es schlecht ist. Erinnerst du dich? Du hast gerade erst angefangen. Und du hast nicht einmal gemerkt, dass ich Sachen geschrieben habe wie: ›Diese Stelle ist unglaublich schön.‹«
Ich suchte nach einer Beleidigung, die stark genug war, um ihn zu verletzen, aber sanft genug, dass er mich trotzdem noch mochte. Nichts. Ich fand es schrecklich, nicht gut genug zu sein, ganze Leben hinter allen anderen herzuhinken. Meine Kiefer taten weh, weil ich die Zähne zusammenbiss.
»Schön.« Ich setzte mich wieder auf die Klavierbank, entschlossen, es besser zu machen. Selbst meine Tonleitern klangen wütend.
Sam rutschte auf die Bank neben mich und unterbrach eine Dur-Tonleiter. Seine Hände bedeckten meine.
»Musik ist das Einzige, was mir jemals etwas bedeutet hat«, flüsterte ich in die tönende Stille. »Jedes Mal, wenn es mir nicht gut ging, fand ich Trost in der Musik. Ich muss gut darin sein.«
»Das bist du. Ich sage es dir nicht oft genug und werde das vermutlich auch in Zukunft nicht. Es geht ja nicht, dass meine Schüler übermütig werden.« Er lächelte, ich nicht. »Aber du bist gut. Es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht, jemanden zu unterrichten.« Er umfasste meine Finger und beugte sich zu mir vor. Unsere Oberschenkel drückten sich aneinander, und seine Stimme wurde tiefer. »Ich möchte dir etwas sagen.«
»Okay.« Diese ganzen Berührungen heute. Es war verwirrend und ablenkend, weil er die meiste Zeit so darauf geachtet hatte, Abstand zu halten. Was, wenn er das Gleiche tat wie an unserem ersten Tag hier in der Küche?
Ich konnte nicht zulassen, dass er mich verletzte – selbst unbeabsichtigt –, denn er hatte einen harten Morgen hinter sich. Ich auch.
»Warte«, sagte ich,
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