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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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Grund dazu hat, sich Sorgen um ihr Überleben zu machen. Ich will nicht mal darüber nachdenken, aber sie legt die Finger auf meinen Arm und sagt: »Bitte.« Da sehe ich das Flehen in ihren Augen und mit welcher Verzweiflung sie es wissen will.
    Ich nicke und denke zurück an die Nacht im Vergnügungspark mit Catcher. Ich denke an den Abend am Strand mit Elias. Ich weiß nicht, was ich ihr erzählen, wie ich ihr das Gefühl beschreiben soll, etwas zu wollen und doch solche Angst zu haben, dass es nicht passieren könnte. Wie soll ich ihr diesen Moment beschreiben, in dem es kein Zurück mehr gibt und die Lippen sich treffen? Wie verändert man sich danach fühlen kann. Man wird gebraucht, ist so schön und besonders.
    Sie legt ihre Hand in meine, so gehen wir weiter. »Es ist wunderbar«, antworte ich schließlich. »Und es fühlt sich auch ein bisschen komisch an. Ich meine, wenn man nicht weiß, was man machen soll und wie das so geht.« Bei der Erinnerung muss ich lachen, und das ist so erfrischend nach all der Zeit, in der ich nur an Tod und Ansteckung und Mudo gedacht habe. »Man macht sich Sorgen, dass man etwas falsch gemacht hat«, sage ich ihr. Und dann flüstere ich ihr zu: »Ich konnte nicht aufhören zu grübeln, was ich als Letztes gegessen hatte.« Ich lächele, als sie kichert.
    »Die schlechten Sachen will ich nicht hören«, erwidert sie grinsend. »Du sollst mir nur das Schöne erzählen.«
    Und das mache ich. Während wir durch die Hitze am Ende des Tages waten, erzähle ich ihr alles und vergesse, dass wir im Wald sind, dass wir gejagt werden und nicht wissen, wohin wir gehen. Wir sind einfach nur Freundinnen auf einem gemeinsamen Nachmittagsspaziergang.

34
    W ir kichern immer noch, als wir nach einer Wegbiegung Catcher und Elias vor einem Tor stehen sehen. Elias ist blass, er trommelt mit den Fingern auf sein Bein. Ich merke, wie mein Lächeln an Kraft verliert; Ciras Hand erschlafft. »Was ist denn?«, frage ich.
    »Nummer achtzehn«, sagt Elias. »X-V-I-I-I.«
    »Oh«, formen meine Lippen. Ich brauche das Buch nicht herauszuholen, die Zeilen des Gedichtes weiß ich auswendig. Das ist das Sonett, das meine Mutter an dem Morgen ihres Abschieds in den Leuchtturm geschnitzt hat. Dies ist das letzte Tor.
    Cira bleibt ein Stück hinter mir zurück. Ich flüstere die letzte Zeile von Shakespeares achtzehntem Sonett: »Lebt mein Gesang und schützt dich vor Vergehn.«
    Hinter dem Tor führt der Weg weiter wie alle anderen Pfade – mit Zäunen zu beiden Seiten und dem Wald dahinter. Die Mudo erheben sich und taumeln auf uns zu.
    Ich gehe immer schneller, meine Aufregung wächst. Am Ende dieses Pfades könnte meine Mutter sein. Und vielleicht auch meine Geschichte – und sämtliche Antworten. Mein Herz hämmert heftiger, meine Beine zucken, und ich fange an zu laufen. Hinter mir höre ich, wie die anderen mir folgen, aber ich schaue mich nicht um.
    Bis wir zu einem weiteren Tor kommen. Dahinter sehe ich die Schatten von Gebäuden, der Zaun umschließt ein größeres Areal, wie beim letzten Dorf. Und plötzlich ist meine Angst zu groß, um noch einen weiteren Schritt zu machen. Mir läuft der Schweiß die Wangen hinab, am Hals entlang und zwischen die Schultern. Ich fürchte, dass dieses Dorf so sein wird wie das vorige: leer und tot.
    Hinter mir bleibt Elias stehen. Ich höre, wie er versucht, wieder zu Atem zu kommen, schlucke und drehe mich zu ihm um. Obwohl wir beide gerannt sind, ist sein Gesicht blass. Er schaut nicht mich an, sondern das Tor. Mit leicht zitternden Fingern reibt er sich den Kopf.
    Plötzlich will ich einfach nur darüber lachen, wie wir hier stehen, nach allem, was wir durchgemacht haben. Keiner von uns will den nächsten Schritt machen. Was würde passieren, wenn wir hier für immer stehen blieben und uns nie wieder rühren würden?
    Und dann, als würde der Wald ausatmen und mir einen Schubs geben, ziehe ich mein Messer, lege die Hand auf das Tor und öffne es.
    Den Kopf schräg gelegt, um auf Stimmen, Stöhnen oder andere Geräusche zu lauschen, die mir die Anwesenheit von irgendwas oder irgendwem anzeigen, wage ich mich langsam ins Dorf hinein. Ich warte auf das Erwachen einer Erinnerung, darauf, dass mich etwas Vertrautes überkommt, doch vergeblich. Links vor mir liegt die ausgebrannte Hülle eines großen Gebäudes: umgestürzte, verkohlte Steinmauern, aus denen in bizarren Winkeln zersplitterte Balken ragen. Ein gutes Stück dahinter kann ich die Umrisse kleiner Häuser

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