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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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als wolle er protestieren, und ich starre ihn an. Er schaut in den Wald, wo Catcher und Cira den Bäumen ausweichen. »Schnapp dir die Rucksäcke«, sagt er. »Wir müssen rennen, wenn wir sie einholen wollen.«
    Diese Worte geben mir einen Ruck, ich bin erleichtert, einen Plan zu haben, etwas, worauf ich mich konzentrieren, womit ich meine Gedanken beschäftigen kann. Denn ich will nicht an Cira im Wald denken, an Cira mit Blut an den Armen, an Cira, die nicht immun gegen die Mudo ist – und immer noch vom Blutverlust und nun auch von der Blutvergiftung geschwächt.
    Ich raffe so viel wie möglich zusammen, stopfe die vollen Feldflaschen in die Rucksäcke und werfe Elias zu, was ich nicht selbst tragen kann. Wir laufen durch das leere Dorf zum Tor auf der anderen Seite.
    Elias stößt es auf und rennt den Pfad entlang, springt über Brombeergestrüpp und weicht abgebrochenen Ästen aus. Meine Brust brennt, aber mit einem schwankenden, vollen Rucksack, der mir auf den Rücken schlägt, kämpfe ich mich voran. Wir müssen sie finden. Sie muss okay sein.
    Als hätte er meine Gedanken gehört, sagt Elias: »Sie wird schon wieder gesund.«
    Ich nicke, weil mir für etwas anderes die Kraft fehlt und weil ich ihm glauben will. Ich kann mich nur zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen und zwischen den Zäunen zu bleiben. Immer wieder starre ich hinaus zwischen die Bäume, weil ich Catcher oder Cira dort unbedingt entdecken will.
    An einer Weggabelung läuft Elias ohne zu zögern nach rechts. Irgendwann müssten sie diesen Pfad kreuzen, anders geht es nicht. Meine Füße trommeln auf den Boden, ich habe nur einen einzigen Gedanken: Sie schaffen es. Sie schaffen es.
    Elias gewinnt an Vorsprung, und winkend gebe ich ihm zu verstehen, dass er vorauslaufen soll. Meine Beine brennen, meine Lungen brüllen. Er biegt um eine Ecke und erstarrt. Ich werde langsamer, falle stolpernd ins Schritttempo. Er zieht sein Messer nicht, also weiß ich, dass er keinen Mudo gesehen hat, er ist nicht in Gefahr.
    Er muss Catcher und Cira gefunden haben. Mit zitternden Armen und Beinen zwinge ich mich voran. An der Art, wie Elias die Zähne zusammenbeißt, und an seiner Körperhaltung kann ich erkennen, dass hinter der Wegbiegung etwas ist, das ich nicht sehen will.

33
    E lias streckt die Hand aus, damit ich stehen bleibe, aber ich tue es nicht. Ich kann nicht. Ich muss wissen, was geschehen ist.
    Ich sauge so viel Luft wie möglich in meine Lungen, presse die Finger auf meine Lippen und wappne mich für das, was vor mir liegt.
    Bevor ich irgendetwas erkennen kann, höre ich das Wimmern und ändere meine Meinung. Ich bleibe mitten auf dem Pfad stehen, einen Fuß in der Luft. Ich will mir nicht ansehen, was Elias da beobachtet – was immer es auch sein mag.
    So funktioniert die Welt, begreife ich. Wenn ich sie aufhalten, sie daran hindern könnte, sich zu drehen, dann hätte ich das schon vor langer Zeit getan. Ich hätte sie in dem Moment angehalten, in dem Catchers Lippen auf meine trafen – unter dem Mond im Vergnügungspark. In dieser Ewigkeit hätte ich uns für immer bewahrt.
    Aber natürlich drängt alles voran, auch wenn wir uns noch so sehr gegen die Realität stemmen. Ein Ereignis nach dem anderen entzieht sich unserer Kontrolle, und wir werden alle mitgeschleppt, hilflos.
    Deshalb zwinge ich mich, den Blick zu heben, diesen Schritt zu machen und dem ins Auge zu schauen, was passiert ist. Obwohl mir nie so klar war wie jetzt, dass mich das, was ich gleich sehen werden, zerbrechen wird.
    Catcher sitzt in der Mitte des Pfades. Seine Schwester, meine beste Freundin Cira, liegt quer über seinen Beinen. Er beugt sich über sie, legt den Kopf auf ihre Brust. Das Geräusch, das aus seinem Mund kommt, ist wie das Stöhnen der Mudo. Es dringt in mich ein und erschüttert mich so tief, dass ich kaum noch aufrecht stehen kann.
    Ich schaue zu Elias, sehe, wie er bewegungslos dasteht. Sein Gesicht ist weiß, er hat Lippen wie ein Geist. Seine Augen sind weit aufgerissen, das Kinn zittert. Und da erkenne ich, dass er sich nicht als Außenseiter versteht, er ist kein Fremder. Er ist einer von uns. Ich will nach seiner Hand greifen, doch da geht er schon auf Catcher zu.
    Elias hockt sich an Ciras Seite und legt zwei Finger an ihre Wange. Dann greift er über sie hinweg nach Catchers Hand. Ich schlucke, ich bekomme kaum Luft, als ich sie beobachte, mein eigener Kummer hat mich fest im Griff.
    »Haben sie …? Ist sie?« Ich kann es nicht

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