Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
Dummheiten machen, geschieht Ihnen nichts. Sie haben mein Wort.«
»Ihr Wort?«, schleuderte ich ihm entgegen. Als ich mich wieder zur Heckscheibe wandte, stellte ich fest, dass Julian die Verfolgung aufgegeben hatte und zum Escalade rannte. Wir bogen um die Ecke und in die Park Avenue ein, wo dank einer unglücklichen Wendung des Schicksals sämtliche Ampeln bis über die 125. Straße hinaus auf Grün standen.
Wir brausten an den Straßen mit den 80er-Nummern vorbei, bis die Ampel an der 93. Straße endlich auf Rot umsprang. Ich zwang mich, in Ruhe nachzudenken. Arthur war ganz offensichtlich krank und verzweifelt, kein Mörder. Also musste ich so lange auf ihn einreden, bis er von der Fensterbank herunterkam und wieder vernünftig wurde.
»Arthur«, begann ich leise, »ich habe wirklich volles Verständnis für Sie. Wie schwer der Verlust Ihrer Schwester für Sie gewesen sein muss, wage ich mir gar nicht vorzustellen. Sicher war sie eine viel bessere Frau als ich. Wenn ich mir anschaue, was sie geleistet hat …« Ich nestelte an den Armbändern an meinem rechten Handgelenk. »Natürlich macht es Ihnen zu schaffen.«
»Er hat sie geliebt«, erwiderte Arthur. »Sie haben ja keine Ahnung. Er hat sie geliebt. Sie waren füreinander bestimmt. Sie hätten sie gemeinsam erleben sollen. Das Traumpaar ihrer Zeit.«
Jedes seiner Worte bohrte sich wie ein Laserstrahl in mein Gehirn und versetzte mir einen schmerzhaften Stich. »Natürlich«, sagte ich. Bring ihn zum Weiterreden. Lenk ihn ab.
»Ich möchte ja nicht unhöflich sein. Sie sind ein nettes Mädchen. Und auch auf Ihre Weise hübsch. Aber Flora! Julian, Geoffrey und ich haben sie angebetet.«
»Ich weiß.« Ich schluckte. »Julian spricht mit so viel Zuneigung und Bedauern über sie.«
Sag einfach, was er hören will.
»Er hat sie so geliebt«, fuhr Arthur wehmütig fort. »Und sie ihn selbstverständlich auch. Wie hätte es auch anders sein sollen? Seine Schönheit, sein Charakter, seine edle Seele, seine makellose Reinheit, ein Stern, der uns alle überstrahlt. Er ist einzigartig in dieser Welt, in der es keine Ehre, keinen Anstand und keine Treue gibt. Wie sehr wünschte ich, wir wären niemals hergebracht worden …«
»Sie lieben ihn«, flüsterte ich und musterte mit aufkeimendem Erstaunen und Mitgefühl den Ausdruck auf seinem Gesicht. »Sie lieben ihn, richtig?«
»Natürlich. Wer liebt ihn nicht?«
»Ich meine, Sie sind in ihn verliebt, oder?«
Sein Kopf fuhr herum. Ich hatte ihn verloren. »In ihn verliebt!«, tobte er. »In ihn verliebt! Sie sind ein verdorbenes Frauenzimmer mit einer vulgären, schmutzigen Phantasie! Ich bringe ihm eine reine und edle Liebe entgegen, die Ihnen so fremd ist wie die Zeit, in der wir erzogen wurden. Die bloße Vorstellung, dass er seine Liebe zu ihr für die abstoßende und widerwärtige Fleischeslust verrät, zu der Sie ihn verführt haben!«
»Sie sind wirklich krank«, sagte ich leise. Als die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Taxis sein Gesicht streiften, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »Sie waren es, der mich verfolgt hat. Damals am Abend bei Starbucks. Kein Wunder, dass Julian Sie laufengelassen …«
Die Ampel sprang auf Gelb um. Ich spürte, wie das Auto zum Start ansetzte.
Da durchschnitt hinter uns das Quietschen von Reifen die Luft. Als wir uns umdrehten, sahen wir einen eleganten dunklen Wagen an der 92. Straße am Mittelstreifen wenden. Julians Maserati.
Die Ampel wurde grün. Arthurs Fahrer gab Gas, so dass wir beide gegen den Sitz geschleudert wurden. Ich schnallte mich an. Nicht, flehte ich Julian lautlos an. Liefere dir kein Rennen mit uns. Ruf die Polizei. Riskiere nicht dein Leben. Bitte.
Unser Auto war zwar schnell, doch der Maserati war als Rennwagen gebaut. Schon einen Häuserblock später befand er sich neben uns und setzte zum Überholen an, um uns an den Straßenrand zu drängen. Ich konnte undeutlich zwei Personen darin erkennen. Wer war bei Julian? Der Beifahrer warf einen Blick auf uns, aber ich konnte in der Dunkelheit sein Gesicht nicht erkennen. Ich presste mein Gesicht an die Scheibe und spähte verzweifelt hinaus.
Im nächsten Moment öffnete sich das Fenster, so dass mir die Nachtluft ins Gesicht wehte. Dann wurde mir etwas Kaltes und Hartes an die rechte Schläfe gedrückt. Mir wurde flau. Sofort blieb der Maserati zurück. Er folgte uns zwar weiter, hielt aber respektvoll Abstand. »Keine Bewegung. Bleiben Sie ruhig sitzen«, zischte Arthur, als ich mich
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