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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatriz Williams
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einem starren Strich zusammengepresst. Ich überlegte, was ich sagen sollte, doch er ergriff zuerst das Wort.
    »Tun Sie das wirklich?«, fragte er mit seltsam angespannter Stimme.
    »Was?«
    »Glauben, dass Sie im falschen Jahrhundert geboren sind.«
    Ich lachte wieder. »Nun, nicht wortwörtlich. Ich meine, wer will schon im Kindbett sterben? Aber manchmal wünsche ich …« Meine Stimme erstarb.
    »Was wünschen Sie?«
    »Es gibt keinen Kampf um Leben oder Tod mehr, richtig? Das Zeitalter der Ehre und des Opferbringens ist vorbei.« Wieder betrachtete ich die in der richtigen Reihenfolge angeordneten Romane von O’Brian. »Jack Aubrey hat viele menschliche Schwächen, Maturin ebenfalls. Und dennoch haben sie Grundsätze, für die sie ihr Leben einsetzen. Dafür und füreinander. Heutzutage dreht sich alles nur noch um Geld, Status und Starruhm. Das heißt nicht, dass diese Dinge den Menschen nicht schon immer wichtig gewesen wären. Aber es galt wenigstens als Sünde.« Ich zuckte mit den Schultern. »Niemand macht sich mehr die Mühe, erwachsen zu werden. Wir wollen unser Leben lang Kinder bleiben. Spielsachen sammeln. Spaß haben.«
    »Und was ist die Lösung?«
    »Es gibt keine. Wir sind, wer wir sind, richtig? Das Leben geht weiter. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen.«
    »Ja«, erwiderte er, »ganz recht. Und Sie wollen Wirtschaft studieren.«
    »Und Sie leiten einen Hedgefonds.«
    Er schmunzelte. »Und was würden Sie mir vorschlagen, um meine Seele zu retten?«
    »Ich weiß nicht. Zumindest auf gar keinen Fall eine dieser weichgespülten Wohltätigkeitsorganisationen. Etwas Interessanteres, das mehr Einsatz erfordert. Vielleicht besorgen Sie sich einen Kaperbrief und machen an der afrikanischen Küste Jagd auf somalische Piraten.«
    Er fing an zu lachen, ein weiches, angenehmes Geräusch. »Sie sind unbezahlbar. Und wo würde ich eine Mannschaft finden, die kühn genug ist, mich zu begleiten?«
    »Ich wäre sofort dabei«, sagte ich, ohne nachzudenken.
    Eine winzige Pause entstand. »Wären Sie das?«
    Du bist ein Genie, Kate . Ich räusperte mich und schaute wieder in Richtung Bücherregal. »Nun, wenn ich nicht meinen Lebensunterhalt verdienen müsste.«
    »Aha. Heißt das, wir sollten uns wieder an die Arbeit machen?«
    Ich sah auf die Uhr. Kurz kämpften meine beiden Gehirnhälften gegeneinander: die, die unbedingt bleiben wollte – die ganze Nacht und die ganze Woche, ja, eigentlich mein ganzes Leben, um mich in dem Glanz seines wunderschönen Gesichts zu sonnen –, und die, die am liebsten vor Todesangst die Flucht ergriffen hätte.
    »Tut mir leid«, stieß ich heiser hervor, »ich bin schon viel zu lange hier. In den letzten Tagen habe ich kaum geschlafen.«
    Obwohl ich es nicht über mich brachte, ihm in die Augen zu schauen, spürte ich, wie sein Blick mich durchbohrte. »Ich bin ein Idiot«, sagte er schließlich. »Sie müssen ja völlig erledigt sein.«
    »Ein bisschen.«
    »Vermutlich meine Schuld, weil ich so viele Änderungen verlangt habe.« Er fuhr sich mit der Hand durchs goldene Haar. »Ich bitte Sie um Entschuldigung. Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie sich aus. Ich sehe mir die Unterlagen über Weihnachten an. Wenn Sie wieder in der Stadt sind, sprechen wir weiter darüber.«
    »Danke.«
    »Ich hole Ihren Mantel«, fuhr er fort, trat zum Sofa, nahm ihn von der Lehne und hielt ihn mir hin. »Bitte sehr.«
    Ich ließ mir von ihm in den Mantel helfen – eine völlig neue Erfahrung –, griff nach meinem Laptop und steuerte wie benommen auf den Flur zu.
    »Warten Sie«, hörte ich da seine Stimme. Sofort drehte ich mich um und vergrub dabei die Nase beinahe in seinem Pullover.
    »Verzeihung«, murmelte ich.
    »Verzeihung«, sagte er gleichzeitig. Mit einem verlegenen Lächeln wichen wir zurück. »Passen Sie auf … Würden Sie es sehr vermessen von mir finden …« Kurz schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, verzog er ein wenig reumütig die Lippen. »Ich glaube, ich versuche gerade Sie zu fragen, ob ich Sie nach Weihnachten vielleicht wiedersehen könnte.«
    »Äh … klar.« Ich strich mir das Haar hinters Ohr und studierte die Wand hinter seiner Schulter. »Sie haben ja meine E-Mail-Adresse, oder?«
    »Ja. Ich …« Er hielt inne. »Könnten Sie mich mal einen Moment ansehen?«
    »Was ist?«, entgegnete ich und hob den Kopf, um seinen Blick zu erwidern.
    »Mein Gott«, glaubte ich ihn flüstern zu hören. »Ich möchte nur klarstellen, dass es nichts mit

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