Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
Weihnachten wünschen. Kate.
Julian: Ihnen auch. Fahre jetzt zu Geoff .
Ich: Viel Spaß.
Julian: (Sonntagnachmittag) Liebe Kate, ich hoffe, Sie hatten ein schönes Weihnachtsfest, ohne dass zu viele schauderhafte Strickwaren unter dem Weihnachtsbaum auf Sie gewartet haben. In den letzten Tagen habe ich mir überlegt, dass es vielleicht klüger wäre, weiteren persönlichen Kontakt bis nach dem Bioderma-Geschäftsabschluss zu verschieben. Ich schwöre, dass es nichts mit Ihnen zu tun hat. Ich möchte nur verhindern, dass mir die Börsenaufsicht einen unliebsamen Besuch abstattet. Hoffentlich haben Sie Verständnis dafür. Natürlich brauchen Sie sich bis dahin in keinster Weise verpflichtet zu fühlen. Ich möchte noch hinzufügen, dass Sie mich jederzeit anrufen können, wenn Sie mich brauchen. Ich werde immer für Ihre Sicherheit und Ihr Glück beten. Ihr Julian.
Ich: (später) Julian, ich habe mir etwas ganz Ähnliches gedacht. Danke, dass Sie mir zuvorgekommen sind. Sie haben es sehr treffend ausgedrückt. Alles Gute, Kate.
5
Mai 2008
I ch beschloss, früher nach Hause zu gehen und im Central Park zu joggen. Natürlich bedeutete ein früher Feierabend in unserem Unternehmen so gegen acht Uhr abends. Allerdings hatte ich aufgehört, an den langen Arbeitsstunden bei Sterling Bates Anstoß zu nehmen. Es war gut, beschäftigt zu sein.
»He, Kate, Zeit für einen Kaffee?« Die Stimme, so schauderhaft fröhlich und hell wie ein Sonnenstrahl, gehörte Alicia. Den kleinen Mund in ihrem runden Gesicht zu einem Lächeln verzogen, beugte sie sich über die Trennwand meiner Arbeitskabine. Inzwischen ließ sie ihr Haar wieder wachsen. Das momentane Zwischenstadium stand ihr noch weniger als der Stufenschnitt.
»Eigentlich wollte ich heute Abend zum Joggen«, erwiderte ich so bemüht fröhlich wie sie. Schon seit dem Winter kursierten bei Sterling Bates Gerüchte, und alles wartete mit angehaltenem Atem auf meinen unvermeidlichen Zusammenbruch. Laut Charlie waren die Kollegen überzeugt, ich hätte auf Anweisung von Paul Banner eine Nacht mit Julian Laurence verbracht und sei am nächsten Morgen wie eine Dirne auf Nimmerwiedersehen vor die Tür gesetzt worden. Im Lauf der Monate wurde die Geschichte weiter ausgeschmückt. Angeblich hatte ich mich Anfang Februar einer Abtreibung unterzogen – und die Kosten als Spesen in Rechnung gestellt. Jedenfalls hatte sich am Grundthema nichts geändert, so dass eine verbissene und gnadenlose gute Laune meine einzige Waffe gegen den Klatsch war. Insbesondere in Gegenwart von Alicia.
Es war meine bislang größte Herausforderung.
»Trinken Sie doch zuerst einen Kaffee«, beharrte sie. »Das muntert auf.«
Ich lächelte zähnefletschend. »Na gut, warum nicht?«
Eine Woche nach Weihnachten hatte ich eine E-Mail von Alicia erhalten, in der sie sich für ihren Ausrutscher entschuldigte und mich fragte, ob wir noch einmal von vorne anfangen könnten. Interessanterweise schien sie es ernst zu meinen. Sie nahm mich unter ihre Fittiche, schleppte mich zum Kaffee und zum Mittagessen und hatte mich einmal sogar abends zu einem Treffen mit ihren zickigen Freundinnen in eine Kneipe eingeladen. Ich hatte mitgespielt. Immerhin war es eine Beschäftigung, die verhinderte, dass mein Gehirn sich in Endlosschleife immer um denselben Gedanken drehte.
Ein Besuch bei Starbucks bedeutete, die zehn Schritte Gehweg zurückzulegen, die die Drehtür von Sterling Bates von dem Ladenlokal daneben trennten. An diesem Nachmittag fielen sie mir besonders leicht, denn es war wunderschön draußen, die kurze Zeit, die Manhattan zwischen dem launischen, windigen Frühling und der atemberaubend stickigen Sommerhitze vergönnt bleibt. Die Wärme des Tages hing noch in der Luft; hinter den Bürotürmen im Westen ging gerade die Sonne unter. Dankbar atmete ich die milde Brise ein. Bewegungsdrang durchströmte meine Muskeln. Frühlingsgefühle.
»Hat Banner Ihnen von der Gala im Museum of Modern Art morgen Abend erzählt?«, fragte Alicia nach einem Schluck Milchkaffee.
»In letzter Zeit redet Banner kaum noch mit mir.«
»Ach ja.« Es zuckte um ihre Lippen. »Nun, ich habe heute Nachmittag mit ihm darüber gesprochen. Wir sind uns einig, dass Sie hingehen sollten.«
Ich schloss die Lippen um meinen Strohhalm und nippte an meinem eisgekühlten Cappuccino, bevor ich antwortete. »Hm. Was genau ist denn der Anlass?«
»Spenden für irgendeine große Wohltätigkeitsorganisation. Die Abteilung Kapitalmärkte
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