Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
hat er. Aber selbst eine gottverdammte stehengebliebene Uhr geht zweimal am Tag richtig.« Über seine Bierflasche hinweg zwinkerte er mir noch einmal zu.
»Julian zeigt sich nicht oft in der Öffentlichkeit«, erklärte ich. »Es würde mich wundern, wenn er heute Abend hier auftauchen würde. Es ist nicht sein Ding.«
»Angesichts dessen, dass zwischen dir und diesem Typen nichts läuft, scheinst du ihn ziemlich gut zu kennen.« Er machte mit den Fingern Anführungszeichen.
»Warum hacken alle ständig darauf herum? Ihr treibt mich noch in den Wahnsinn.«
»Kate.« Er schüttelte den Kopf. »Der Typ ist Milliardär. Eine lebende Legende.«
»Nein«, widersprach ich. »Er ist einfach nur Julian.«
»Ach, komm schon. Nur Julian . Wenn er nicht so reich wäre, würdest du nicht auf ihn stehen.«
»Ich stehe nicht auf ihn«, protestierte ich nicht sehr glaubwürdig. »Und selbst wenn das anders wäre, ginge es mir nicht ums Geld.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ehrlich gesagt ist es sein Aussehen.«
»Du lügst wie gedruckt.«
»Du irrst dich.«
»Wirklich?« Er zuckte mit den Schultern. »Altes Mädchen, das ist kein Grund, sich zu schämen. Ihr Mädels habt eben Glück. Für mich gibt es nur einen Weg, reich zu werden, und zwar auf die harte Tour. Ihr habt da zwei Möglichkeiten – heiraten oder selbst verdienen. Also greif zu. Ich bin da voll auf deiner Seite.«
»Verschon mich. Wir sind hier nicht bei Jane Austen. Komm endlich an in der Moderne.«
»Kate.« Er lachte auf. »Das Leben ist kein Feminismusseminar, sondern die Wirklichkeit. Die gottverdammte menschliche Natur. Gegen die Biologie kann man nicht an.«
»Ich schwöre bei Gott, Charlie, und wenn er morgen alles bis auf den letzten Penny verlieren würde …« Ich hielt inne.
»Also gibst du doch zu, dass du auf ihn stehst.«
»Meinetwegen. Ich finde ihn irgendwie nett«, räumte ich im Flüsterton ein. »Und, gut, vielleicht nicht gleich jeden Penny. Ein Dach über dem Kopf wäre schon in Ordnung. Aber ein Einzimmerapartment würde reichen, Charlie.«
»Natürlich«, wandte Charlie ein, »ist das nur blanke Theorie. Es gibt keine Möglichkeit, sie auf die Probe zu stellen, solange nicht die absolute Totalkatastrophe eintritt. Und dann hätten wir alle andere Sorgen als Sex.« Er hob die Flasche und trank den letzten Schluck Bier. »Also los, Kate. Komm mit. Wir wollen uns ins Getümmel stürzen. Schließlich sind wir deshalb hier.«
»Tu mir nur einen Gefallen«, raunte ich ihm ins Ohr. »Bitte erwähn die Sache von gestern Abend nicht.«
Er hob die Faust, und wir stießen mit den Fingerknöcheln zusammen. »Ehrenwort, altes Mädchen.«
Als um halb neun zu Tisch gebeten wurde, fehlte von Julian noch immer jede Spur. Sterling Bates besetzte einige von verschiedenen Abteilungen reservierte Tische, und ich erkannte das eine oder andere Gesicht in der Nähe, als wir an unserem Platz nahmen. Banner gesellte sich zu uns und setzte sich direkt neben mich. Kurz darauf erschien Alicia, die bereits einiges mehr intus hatte, als beim Führen eines Kraftfahrzeugs erlaubt war.
»Sie sehen hinreißend aus«, murmelte Banner und beugte sich über mein Kleid, um sich ein genaueres Bild davon zu machen.
»Danke. Alicia hat mir beim Aussuchen geholfen.«
Er wandte sich zu ihr um. »Du bist ein gottverdammtes Genie, Alicia.«
Sie verdrehte die Augen und widmete sich wieder dem Kunden, der neben ihr saß.
Während des Hauptgangs konnte ich durch eine vorübergehende Lücke im Gedränge Geoff Warwick erkennen. Er saß, um einiges näher am Podium, etwa zehn Tische entfernt. Neben ihm bemerkte ich eine selbstzufrieden wirkende Frau mit schimmerndem blondem Haar, vermutlich die langweilige Gattin.
Der Platz neben ihr war leer. Julians Platz.
Gelangweilt beobachtete ich, wie Mitglieder des Komitees aufs Podium traten und ihre Ansagen zum Thema stumme Auktion und den Tanzabend machten. Dann kamen die Reden – verschiedene Wichtigtuer, Wohltätigkeitsmenschen und Spender. Die Veranstalterin des Abends war eine aufdringliche Neureiche, die ein mit Swarovski-Kristallen besticktes Kleid trug.
»Entschuldigen Sie mich«, murmelte ich und stand vom Tisch auf. Da ich nicht sicher war, ob ich wiederkommen würde, nahm ich meine Handtasche mit.
Inzwischen waberte an der Bar dichter Zigarrenqualm. Deshalb schlenderte ich umher, bis ich einige offene Terrassentüren entdeckte, wo ein kühler Wind den Gestank der Müllcontainer hinter dem Gebäude
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