Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
niedrige Decke, die Julian beinahe mit dem Kopf berührte, der rostbraune Wasserfleck, der sich von einer Ecke am Fenster aus träge auf der vergilbten Tapete ausbreitete, der kleine gusseiserne Kamin mit dem angelaufenen Kohlenkasten. Ein kleines Zimmer. Obwohl Julian höflich am Kamin stehen blieb und so viel Abstand zum Bett hielt, wie er konnte, ohne Feuer zu fangen, betrug die Entfernung höchstens zwei vertrauliche Meter. »Viel besser, vielen Dank. Es tut mir leid, dass ich Ihnen solche Umstände mache.«
»Seien Sie nicht albern.« Verlegen hielt er inne. Wie anziehend er wirkte in seiner abgetragenen khakifarbenen Uniformjacke mit den großen Taschen, den Messingknöpfen und dem breiten Ledergürtel. Der stramme Krawattenknoten teilte den Hemdkragen exakt in der Mitte. Dazu das jungenhafte Ebenbild des Gesichts, das ich so liebte.
Lächelnd winkelte ich die Knie an. »Die Situation ist Ihnen unangenehm, nicht wahr? Lassen Sie mich raten, was in Ihnen vorgeht.« Ich ahmte seinen Akzent nach. »Verdammt, Ashford, wie zum Teufel bist du in diesen Schlamassel geraten? Eine fremde Frau in deinem Bett, und das um drei Uhr nachmittags! Wie willst du sie jetzt wieder loswerden, ohne unhöflich zu sein?«
Das Lächeln, das sich langsam auf seinem Gesicht ausbreitete, war so strahlend wie immer. »Offen gestanden haben Sie es nicht im Entferntesten getroffen.«
»Nicht?«
»Erstens würde ich in Ihrer Gegenwart nie solche Ausdrücke benutzen.«
Es zuckte um meine Lippen. »Oh«, sagte ich. »Ich bitte um Verzeihung.«
»Und außerdem ist es bereits kurz vor fünf.«
Ich blickte zum Fenster. »Das tut mir entsetzlich leid.«
»Sie müssen aufhören, sich ständig zu entschuldigen.«
»Ich weiß, eine schlechte Angewohnheit.« Ich drehte mich wieder zu ihm um. »Aber ich habe Sie trotzdem in eine heikle Lage gebracht, oder? Hatten Sie denn Zeit, sich nach einem Zimmer für mich zu erkundigen? Keine Sorge, wenn es nicht geklappt hat«, fügte ich hinzu. »Ich finde schon etwas. Da ich mich ein wenig ausruhen konnte, fühle ich mich schon viel besser.«
»Bei meiner Wirtin wird heute Abend ein Zimmer frei«, erwiderte er. »Jemand muss zurück an die Front. Sie können natürlich hierbleiben. Ich räume meine Sachen nach oben.«
»Danke. Vielen Dank. Was müssen Sie für ein Bild von mir haben? Ohne Anstandsdame mit Ihnen in einem Zimmer.«
Er lachte fröhlich auf. »Sie brauchen keine Anstandsdame. Sie können sehr gut auf sich selbst aufpassen.«
»Aber die Mädchen, mit denen Sie sonst Umgang haben, würden lieber sterben, als in so einer Situation angetroffen zu werden, richtig?« Ich wies in den Raum und auf seinen Rucksack, der bereits in der Ecke lehnte.
»Richtig. Doch Sie sind nicht wie die anderen Mädchen.«
»Eindeutig nicht. Wahrscheinlich fluche ich, verglichen mit ihnen, wie ein Bierkutscher.« Ich lächelte reumütig. »Machen Sie sich keine Sorgen wegen meines Rufs? Ich könnte ja ein billiges Flittchen sein.«
Immer noch lächelnd, neigte er den Kopf zur Seite. »Und sind Sie das?«
»Natürlich nicht. Ich bin eine ehrbare Witwe.« Beim Aussprechen dieses Wortes kippte mir beinahe die Stimme weg. »Allerdings wissen Sie nicht, ob Sie mir das auch glauben können.«
»Kate«, erwiderte er leise, »es steht Ihnen ins Gesicht geschrieben. Und man erkennt es daran, wie Sie Ihren Kopf halten.«
Die Luft zwischen uns schien sich zu verdichten. Hilflos betrachtete ich seine kräftige Gestalt vor dem Kaminfeuer. Er hatte die Hände auf dem Rücken, und das Lampenlicht ließ tiefe Schatten unter seinen Wangenknochen entstehen, so dass er beinahe aussah wie dreißig – fast gelang es ihm, die Kluft an Jahren zu überbrücken, die ihn von dem Mann trennten, den ich kannte. »Sie sind so vertrauensselig«, flüsterte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Nicht in allen Fällen.«
»Warum dann bei mir?«
Offenbar nahm er die Frage ernst. »Vermutlich«, antwortete er, »weil es beinahe ist, als würde ich Sie bereits kennen, als wären wir einander schon einmal begegnet. Noch nie habe ich … Aber natürlich ist das albern. Ich bitte Sie um Verzeihung …«
»Würden Sie sich nicht daran erinnern? Sie vergessen nie ein Gesicht, und Sie betrinken sich nie.«
Seine Augen weiteten sich. Er schlang die Arme um den Körper und legte mit der ihm eigenen löwenartigen Anmut die kurze Strecke zum Fenster zurück. »Woher wissen Sie das?«, fragte er.
»Ich weiß eben so manches.«
»Ihr zweites
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