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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatriz Williams
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plötzlich aufblitzende Erkenntnis, und schlagartig wurde mir klar, was genau er mir da anbot. Also wandte ich mich stattdessen ab, lehnte mich mit dem Rücken an seinen kräftigen Körper und spähte zur Decke. »Weißt du«, sagte ich nach einer Weile, »bis jetzt hat noch niemand versucht mir Sex auszureden.«
    »Aha, die vielen Mistkerle, richtig?« Er war so kuschelig warm; die Anspannung hatte sich vollständig gelegt. Ich spürte, wie sich seine Brust hinter mir hob und senkte und wie seine starken Arme mich umfassten.
    »Nun, so viele waren es nun auch wieder nicht«, gab ich zu. »Ich bin noch rechtzeitig aus dem Schaden klug geworden.« Ich verstummte kurz. »Aber weißt du was? Bis jetzt war mir gar nicht klar, wie … langweilig sie waren.«
    Seine Umarmung wurde fester, und er presste beruhigend die Lippen in mein Haar. Sein Ton hingegen war aufgebracht. »Ich könnte sie umbringen.«
    »Bitte nicht«, protestierte ich nur halb im Scherz, denn ich erinnerte mich daran, wie gekonnt er den Mann im Park außer Gefecht gesetzt hatte. »Du hast versprochen, mir irgendwann auf dem Klavier vorzuspielen.«
    »Jetzt?«
    »Warum nicht?« Ich drehte mich in seinen Armen um und tippte ihm mit dem Finger ans Kinn. »Ich will noch nicht gehen, und Sex kommt ja für dich nicht in Frage.«
    »Kate, fällt dir wirklich keine andere Beschäftigung ein?«
    »Bitte?«
    Er rollte mit den Augen. »Du entdeckst gerade, wie viel Macht du über mich hast, stimmt’s? Also gut.« Er stand auf und zog mich ebenfalls hoch. »Geh nach oben. Das Klavier steht in dem Zimmer mit Blick auf die Straße. Ich hole uns einen Schluck Wein.«
    »Wein?«
    »Lampenfieber.« Er strich mir mit dem Handrücken über die Wange und lächelte mich an. »Rauf mit dir. Ich komme gleich nach.«
    Ich lief die Treppe hinauf, ging am Treppenabsatz nach rechts und fand das Zimmer am Ende eines dunklen Flurs. Fast hatte ich damit gerechnet, dass es sein Schlafzimmer sein würde, doch es war eher wie ein Arbeitszimmer oder ein Musikzimmer eingerichtet. An der einen Wand stand ein niedriges bequemes Sofa mit geschwungenen Armlehnen. Der Flügel füllte die Lücke zwischen den beiden Fenstern. Ich machte Licht und trat an das große Fenster, das auf die Straße hinausging. Wie viel Uhr war es? Noch ziemlich früh, vielleicht halb elf, auch wenn es später zu sein schien. Die Straßenlaternen malten grell orangefarbene Lichtpunkte auf den menschenleeren Gehweg. Der hektische Verkehrsfluss war versiegt, nur gelegentlich fuhr ein Taxi oder eine schwarze Limousine vorbei. Ich empfand tiefe Dankbarkeit dafür, hier in diesem friedlichen Zimmer stehen zu können. Julians Gegenwart ganz in der Nähe war eine tröstende Gewissheit.
    »Den Weg gleich gefunden?«, hörte ich seine Stimme hinter mir, als hätten meine Gedanken ihn herbeigerufen.
    »Hm, ja«, erwiderte ich, ohne mich umzudrehen. »Mir gefällt dieses Zimmer sehr gut. Ausgesprochen gemütlich.« Hinter mir knarzten die Dielenbretter unter seinen Schritten. Im nächsten Moment erschien ein Glas Rotwein vor meiner Nase. Julians Körperwärme liebkoste meine Haut. »Danke«, sagte ich, nahm das Glas und hielt es eine Weile fest, bevor ich es an die Lippen hob. »Wow. Köstlich.«
    »Was soll ich denn spielen?«
    »Ich weiß nicht. Das Stück von Chopin, als ich zu Weihnachten hier war, war wunderschön.«
    »Du scheinst dem Irrglauben anzuhängen, dass ich ein guter Musiker bin.«
    »Stimmt das nicht? Du kannst doch sonst alles.«
    »Ich bin nicht schlecht«, räumte er ein, »aber auf keinen Fall ein Profi.«
    »Mach jetzt bloß keinen Rückzieher, Laurence«, warnte ich ihn.
    Lächelnd trank er einen Schluck Wein. »Also gut. Du hast es nicht anders gewollt. Setz dich«, sagte er und wies mit dem Kopf aufs Sofa. Gehorsam ließ ich mich, das Weinglas in der Hand, in die Polster sinken und schlug die Beine unter.
    Julian ging zum Flügel und stellte das Weinglas vorsichtig an die Kante, bevor er mit den Zehen die Schuhe abstreifte und seine bestrumpften Füße auf die Pedale stellte. »Chopin?«, fragte er mich mit hochgezogener Augenbraue.
    »Ja, bitte. Eine Nocturne vielleicht. Die habe ich sehr gern.«
    Er nickte. Der Flügel stand in einem schrägen Winkel zu mir, so dass ich nur die Tasten und die Seite von Julians Gesicht sehen konnte, das im Licht der Lampe schimmerte. »Vermutlich kennst du die hier«, sagte er. »Nummer zwei in e-Moll.«
    Kurz schloss er die Augen, wie um sich die Noten ins

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