Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
flüsterte ich.
»Hinreißend ist.«
Das war zu viel. Ich schlang ihm die Arme um den Hals und näherte, um einen Kuss flehend, mein Gesicht dem seinen. Gelächter stieg tief aus seiner Kehle auf. Dann senkten sich seine Lippen endlich hungrig und fordernd auf meine, und mir wurde klar, dass er sich ebenso nach mir sehnte wie umgekehrt. Er kniete vor mir, küsste mich leidenschaftlich und umfasste mit seinen warmen Fingern mein Gesicht. Sein Duft und sein Geschmack drangen in jede meiner Poren ein, bis ich keinen klaren Gedanken mehr im Kopf hatte. Meine Finger wanderten wie von selbst nach unten und nestelten an den Knöpfen seines Hemds, um die weiche Haut darunter zu ertasten.
Doch er machte sich los, umfasste meine Finger und legte sie um seine eigenen. Seine Brust hob und senkte sich heftig.
»Kate«, keuchte er, »warte. Ich glaube nicht …«
Ich senkte den Blick. »Tut mir leid«, entfuhr es mir. »Ich habe nur … Ich weiß nicht.«
»Wir wollen nichts überstürzen, oder?«, meinte er sanft.
» Überstürzen? Du findest, dass ich es überstürze? «
»Kate, sei nicht böse.«
»Böse? Julian, im Moment geht es bei mir so drunter und drüber, dass ich gar keine Zeit zum Bösewerden habe. Soll ich jetzt bleiben oder nicht?«
»Mein Gott, Kate, nichts wäre mir lieber«, antwortete er mit belegter Stimme und drückte meine Finger. »Ich kann an nichts anderes mehr denken. Aber noch nicht. Bitte.«
Ich starrte ihn an. »Okay, wie du meinst.«
»Was ist?«
»Nun, normalerweise ist es nicht der Mann, der die Notbremse zieht«, entgegnete ich. »Vor allem nicht, nachdem er den Ich-liebe-dich-Trumpf ausgespielt hat.«
Seine Miene wurde streng. »Was genau soll das heißen?«
»O bitte, Julian, lass uns jetzt nicht das Sex-Gespräch führen. Nach der Sache von vorhin wäre mir das wirklich zu viel.«
»Das Sex-Gespräch?«
Ich wedelte mit der Hand und wich seinem Blick aus. »Du weißt schon, dass jeder seine Lebensgeschichte ausbreitet und die Geister der Vergangenheit heraufbeschwört. Können wir es nicht bei einem Kurzprotokoll belassen und zum nächsten Punkt übergehen?«
Einen Moment verharrte er reglos und angespannt wie eine Bogensehne. Seine Wangen waren hochrot. »Komm her«, sagte er schließlich, setzte sich neben mich aufs Sofa und nahm mich auf den Schoß. »Falls wir es tun«, begann er, und seine leise Stimme strafte seinen von einem inneren Kampf vibrierenden Körper Lügen, » wenn wir es tun, wird das, was gewesen ist, dabei keine Rolle spielen. Für keinen von uns. Denn offen gestanden kann ich die Vorstellung nicht ertragen, dass jemand mit dir zusammen war, der dich nicht so geliebt hat wie ich. Lass uns ein neues Kapitel aufschlagen.« Er küsste mich auf die Schläfe. »Mein Gott, ich will nicht, dass du heute Nacht gehst, Kate. Ich möchte, dass du jede Nacht unseres Lebens neben mir einschläfst. Aber ich werde dich jetzt trotzdem nach Hause begleiten, weil ich finde, dass wir diesen Rubikon noch nicht überschreiten sollten. Meinst du nicht auch?«
»Ich … ich weiß nicht. Noch nicht – was soll das heißen? Möchtest du …«, ich schluckte, »… dass ich es auch ausspreche?«
»Nein, Liebling.« Seine Hand streifte meinen Arm. »Mach dir deshalb keine Sorgen.«
»Dann verstehe ich dich nicht. Bin ich nicht … Gefalle ich dir nicht?«
»O mein Gott, Kate«, stöhnte er auf. »Du mir nicht gefallen? Gütiger Himmel!«
»Du bringst mich total durcheinander. Wenn du von Anfang an in mich verliebt warst, warum bist du dann verschwunden? Und wenn du mich wirklich liebst, warum schleppst du mich dann nicht nach oben und beweist es mir?«
»Ich bin gegangen«, entgegnete er in steifem Ton, »weil ich damals dachte, dass es das Beste für dich sei. Ich habe nicht geahnt … Ich habe geglaubt, dass ich nur mich selbst quäle. Doch ich werde dich nie mehr verlassen, Kate. Das schwöre ich. Und warum ich dich nicht nach oben schleppe? Herrgott …« Er schüttelte den Kopf. »Es bedeutet mir zu viel, Kate. Ich möchte dich nicht zu etwas drängen, bevor du bereit bist.«
»Aber ich bin bereit! Natürlich bin ich bereit. Wirklich. So bereit war ich noch nie.«
Er lachte traurig auf. »Nein, Liebling, das bist du nicht.«
»Du meinst also, du wüsstest, was das Beste für mich ist?«, fragte ich empört.
»In diesem Fall, ja.«
Ich machte schon den Mund auf, um ihm Simone de Beauvoir um die Ohren zu schlagen, aber etwas ließ mich innehalten. Es war eine
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