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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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schnitzen. Eins, das zum Tor und zu Naurulokkis Haustür passt“, bot Jakob an.
    Stille. Jeder hatte ein anderes Bild von der Sommernachtsphantasie, wie sie wäre, wenn ...
    Der Punsch war getrunken. Das Feuer brannte herunter. Die Äste glühten nur noch geheimnisvoll und warfen gelegentlich ein paar letzte Funken. Sie erreichten den Himmel nicht, sondern stürzten zischend ins nasse Gras, verlöschten.
    „Schade“, sagte Harry. „Schade, dass ich kein wirklicher Fee-rich bin.“
    Carly lächelte ihn an. „Du hast den Moment geschaffen, der einen Traum geboren hat. Irgendwas davon bleibt hängen, hier im Gras, so“, sie wedelte mit einer Grasblüte, die Samen auf Ralphs und Jakobs Füße streute, „und geht einmal irgendwo auf. Hicks.“
    Ralph fasste sie am Arm.
    „Und du gehst jetzt ins Bett!“

    Bald ruhte die Nacht allein auf dem Hügel, und nur die Silberpappeln und das Meer erzählten von all den Träumen, die über die Jahre auf Naurulokki gesponnen worden waren, fein, flüchtig und silberglänzend wie die Spinnfäden des Altweibersommers, die in den Hortensienbüschen hingen.

32. Thores Neuigkeiten
     

    Carly sah Miriams Käfer nach, in dem sich nebst Miriam auch Ralph und sagenhaft viel Gepäck befanden. Morgennebel trieb noch auf der Straße, während Naurulokki oben auf dem Hügel schon in rosagoldenem Licht thronte.
    „Wenn ihr auf Campingplätzen seid, könntet ihr die Augen offen halten, ob ihr Spuren von Joram Grafunder seht. Treibholzmöbel, Skulpturen, irgendwas, oder fragen, ob ihn jemand kennt und gesehen hat“, hatte Carly ihren Bruder gebeten.
    „Klar doch. Mach’s gut, Fischchen. Wir melden uns!“
    Ralph hatte sie fest umarmt. Sie würde ihn vermissen, aber vorerst musste er seinen Weg finden und sie ihren. Hauptsache war, dass sie einander wiederentdeckt hatten.
    Die Stille im Haus hatte auch etwas für sich.
    „Ihr seid mir näher, wenn sonst keiner hier ist, Joram und du“, sagte Carly zu dem Bild der jungen Henny mit den drei Schiffen, das in der Küche lehnte. Sie beschloss, den Schrank oben im Flur aufzuräumen, den Myra ihr gezeigt hatte.
    Die Stiefel und diversen Taschen darin waren zwar nicht kaputt, sondern eher unbenutzt, aber verfärbt und muffig, manche sogar verschimmelt. In diesem Schrank stimmte etwas nicht mit der Belüftung. Sie würde Jakob bitten, Löcher in die Türen zu sägen, in Möwenform vielleicht. Egal, wer Naurulokki kaufte, so konnte das nicht bleiben. Nur ein kleiner Rucksack aus Stoff, der ganz vorne gelegen hatte, war abgewetzt, aber sauber und trocken. Darin fand Carly eine Tüte mit einem Rest Kekse, einen Zeichenblock, ein zusammengefaltetes Blatt Papier, Taschentücher und einen Filzstift. Sie trug den Müllsack hinunter und stellte ihn zu den anderen an die Tonne. Vielleicht konnte sie die Müllabfuhr überreden, die Säcke mitzunehmen, dann brauchte sie Jakob wenigstens damit nicht zu belästigen.
    Dann setzte sie sich unter die Birke, faltete behutsam das Papier auseinander. Hennys Schrift, und darunter eine Zeichnung, nicht mit Kreide, Kohle oder Aquarell wie sonst, sondern offenbar mit dem Stift, mit dem Henny geschrieben hatte, ganz anders als ihr sonstiger Stil. Wahrscheinlich unterwegs gezeichnet, vermutete Carly.

    „Manchmal träume ich von Jorams Augen. Er ist nicht da, und doch ist mir, als hätte er mich angesehen – von einer Düne aus oder einem Winkel im Haus. Als wäre seine Seele für einen Moment vorbeigekommen und ich könnte ihn sehen. Der Mann hat Augen, in denen alles liegt, was diese Landschaft und das Leben hier ausmachen. Maleraugen und Geschichtenerzähleraugen! Sie haben alles gesehen, was es hier zu sehen gibt, und viel mehr als andere Menschen – und nichts vergessen. Die Skulpturen, die er gemacht hat, die Gedankenflüge und Geschichten, die er erzählt hat, haben Spuren hinterlassen. Von jenem ersten Tag auf dem Friedhof an haben diese Augen mich nicht mehr losgelassen. Sie sind von einem warmen, rauchigen Blau wie der Dunst an einem Spätsommertag, wenn die Ernte noch nicht vorüber ist, aber das erste Laubfeuer schon entzündet wird. Ein verhaltenes, dunkles Blau, weit und einsam wie der Horizont bei Sonnenaufgang. Ruhe ist darin wie der Mittag über den Boddenwiesen, gleichzeitig eine Ahnung von Geheimnissen und eine Ankündigung von Sturm, ein Gedanke an Wagemut. Auch Antworten deuten sich an, die er bis zum Ende für sich behalten wird und die es doch wert wären zu wissen. Verletzlichkeit und ein

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