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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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Realität. Tatsache war, dass Carly keine Bleibe und keinen Job hatte, außer in Berlin und bei Thore.

    An Schlaf war nicht zu denken. Sie nahm die Kerze mit in die Bibliothek. Dort stand eine Petroleumlampe, wahrscheinlich genau für Gelegenheiten wie diese. Auch Henny musste Stürme und Stromausfälle erlebt haben. Möglich, dass sie dann getan hatte, was Carly tat: Den schiefen Kreisel in die Hand genommen, den Joram gemacht hatte. Immer wieder stellte sie ihn auf die blankgewetzte Spitze und gab ihm Schwung, doch er wollte und wollte nicht aufrecht bleiben.
    „Er funktioniert nur dann, wenn du selbst im Gleichgewicht bist mit deinen Gefühlen“, hatte Joram geschrieben.

    Das Morgengrauen schob den Sturm über das Land davon. Um Naurulokki fand sich Stille ein. Der Strom ging wieder. Auf dem Rasen lagen abgerissene Äste der Silberpappeln und erste gelbe Herbstblätter, ein Gartenstuhl war umgestürzt, aber sonst schien nichts passiert zu sein. Auch das „Naurulokki“-Schild hing noch am Tor.
    Carly war seltsamerweise nicht müde, sondern hellwach. Für Hennys Kleider war es zu kühl. Sie zog sich ihre Jeans an und die Strickjacke und machte sich daran, die Äste aufzusammeln.

    „Hallo! Wollte mal sehen, ob du den Sturm gut überstanden hast! Und dich entführen!“
    Harry ließ sich zum Gartentor herein.
    „Hallo, Harry.“
    „Hast du Lust, dir die Töpferei anzusehen? Nach dem Sturm ist heute nicht mit vielen Kunden zu rechnen, da hätte ich Zeit.“
    „Klar, warum nicht?“ Carly war froh über die Ablenkung. Dann konnte sie den Anruf bei Thore hinausschieben. „Ich mache nur das Haus zu.“
    Im Flur fiel ihr etwas ein. Sie nahm den verwelkten Dahlienstrauß aus der handgetöpferten Vase, die ihr so gut gefiel, trug die Vase nach draußen und hielt sie Harry unter die Nase, so dass er die Signatur auf dem Boden und den stilisierten Vogel sehen konnte.
    „Du kennst doch sicher alle Töpfer aus der Gegend. Weißt du, wer die gemacht hat?“
    Harry war nur einen kurzen Blick darauf.
    „Ach nee. Der Kormoran. PP. Mein Brüderchen ist das. Philip Prevo! Eines seiner besseren Stücke.“
    „Du hast einen Bruder?“
    „Ja, wir führen die Töpferei und den Verkauf gemeinsam. Nur ist er nach dem Tod unserer Mutter vor ein paar Monaten für einige Zeit nach Neuseeland gegangen. Er wollte dort von einem Maori-Künstler etwas über Glasuren lernen. Ich glaube aber, er brauchte einfach Abstand.“
    „So wie Ralph.“
    „So ähnlich. Kommst du jetzt?“
    „Unbedingt.“ Da ihr die Vase so gut gefiel, dass sie beim Vorbeigehen im Flur jedes Mal mit der Hand darüber gefahren war, weil Form und Struktur so angenehm waren, war sie jetzt wirklich neugierig, was es in der Töpferei alles zu entdecken gab.

    Es war ein geducktes Haus mit einem moosbedeckten Reetdach, dessen First altersschwach eingesunken war.
    „Gebaut um 1780“, erzählte Harry stolz.
    Ehrfurchtsvoll sah Carly zu den Holzbalken auf und dem dicken Reet. Was dieses Haus wohl alles erlebt hatte – noch mehr als Naurulokki! Fast unheimlich.

    Drinnen sah sie sich bewundernd um. Es roch feucht, angenehm und geheimnisvoll erdig. Der riesige Brennofen in der Ecke wirkte fremd in der Umgebung, weil er so modern aus glänzendem Edelstahl war. Alles andere passte wunderbar. Die große, noch fußbetriebene Töpferscheibe und mehrere kleinere auf hölzernen Werkbänken. Reihen von Messern, Feilen, Spateln und Drahtschlingen, sauber aufgereiht. Dosen mit Glasuren, die ähnlich aufregende Namen trugen wie Daniels Tees: Winterwald, Moostal, Tabak-Gold, Paradiesvogel, Eismeer. An einer Wand lagen viereckige Packungen mit rotem, weißem und dunkelbraunem Ton in durchsichtiger Folie. Carly stach vorsichtig einen Finger hinein. Weich. Angenehm.
    „Du kannst ja gleich mal was töpfern, nur zum Spaß“, schlug Harry vor. „Ich zeige dir nur erst den Verkaufsraum.“
    Dieser befand sich nebenan. Zwischen den altersdunklen dicken Holzbalken, die ihn durchzogen, wirkten die hell glasierten Vasen, Schalen, Kerzenhalter und Trinkbecher wunderschön. Sie waren zarter als die Vase auf Naurulokki, heiterer.
    „Die hast du alle gemacht?“ Carly fuhr andächtig mit dem Finger über die teils seidenglatten, teils strukturierten Oberflächen mit dem matten Schimmer.
    „Ja – wenn man es raus hat, ist es einfach. Komm, ich zeig’s dir.“

    Zurück in der Werkstatt band er ihr eine Schürze um, setzte sie an eine der Werkbänke, stellte ihr eine der kleinen

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