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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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drehbaren Scheiben vor die Nase und klatschte einen großen Klumpen braunen Ton darauf.
    „Du machst am besten immer wieder deine Hände feucht und die Oberfläche vom Material auch, dafür kannst du diesen Schwamm hier nehmen. Man kann Schalen auch aus einzelnen Tonrollen aufbauen, aber das ist komplizierter. Versuch einfach, ob du mit deinen Händen und durch das Drehen der Scheibe ein Gefäß formen kannst. Die Dicke der Wände muss möglichst gleichmäßig sein, sonst reißt es beim Trocknen oder spätestens beim Brennen. Viel Spaß. Ich geh einen Tee machen.“
    Carly probierte eifrig herum. Der Ton fasste sich wunderbar an. Nur schien er seinen eigenen Willen zu haben. Die Wände der sehr schiefen Schüssel rissen hier und dort auf, kippten um, bekamen Löcher oder Klumpen. Alles ließ sich zwar flicken oder richten, aber es wurde und wurde nichts daraus, was die Bezeichnung Schüssel oder auch nur Gefäß verdiente.
    „Mpf!“ Erbost klopfte Carly alles wieder zu einem Klumpen zusammen, drückte unentschlossen darauf herum, griff einen Teil heraus und ballte die Faust drumrum, öffnete die Hand wieder.
    Das sah doch aus wie ...
    Sie klopfte und schob und rollte an dem Stück herum, griff sich eine von den Metallschlingen am Stiel, die herumlagen, und eine alte Nagelfeile, mit deren Spitze man Vertiefungen und Striche in den Ton drücken konnte. Sie formte hier etwas um, zog dort einen Zipfel heraus, setzte das Ganze auf die Scheibe, drehte sie mit zusammengekniffenen Augen, fummelte hier, strich dort glatt. Einmal hob sie den Kopf. Kam Harry gar nicht wieder? Sie hörte seine Stimme aus dem Verkaufsraum, anscheinend waren Kunden hereingekommen.
    Sie setzte das fertige Stück beiseite, nahm sich ein zweites, größeres, und als Harry immer noch nicht kam, ein drittes.
    Es war wie gestern, als sie die Sandburg gebaut hatte, aber noch stärker: die Zeit verschwand, Carly vergaß sich selbst, ihre Sorgen, Thore, die Zukunft und die Welt. Nur ihre Hände und der Ton existierten noch. Sie war nicht mehr Carly. Sie wurde das Wesen, das sie formte, spürte, wie sie sich mit ihm bewegte. Sie tauchte mit ihm in die Wellen, sah das Schimmern der Oberfläche von unten, sah begleitende Schwärme silberner Fische. Streckte sich, schoss mühelos über dem Sandboden dahin, drehte sich im Spiel mit den Gefährten umeinander, war zuhause, frei und leicht in diesem vertrauten Element.
    Erst als sie fertig war, das endgültige Mal glättend den feuchten Schwamm über den Ton strich und wusste, alles war perfekt, wurde sie wieder Carly.
    Aber eine andere Carly. Das nagende Unbehagen, die Zerrissenheit, Zukunftsangst und Unentschlossenheit waren verschwunden. In ihr war alles klar und ruhig wie die See an einem stillen Sommermorgen. Sie wusste, was zu tun war. Die Zweifel waren fortgezogen wie die Schwalben und hatten einen hohen, hellen Himmel ohne schwarze Punkte hinterlassen.

    „Natürlich dürfen Sie unsere Werkstatt sehen, während Sie sich entscheiden“, hörte sie Harrys Stimme sich der Tür nähern.
    Ihm auf dem Fuß folgte ein großer Mann mit schweren Schritten, lauter Stimme und einem offenbar unerschöpflichen Vorrat an Ausrufezeichen.
    „Guten Tag! Ich wusste nicht, dass Sie eine junge Künstlerin eingestellt haben! Und auch noch mit Humor! Gute Idee, gute Idee! Mensch, Prevo, warum sagen Sie das nicht gleich! Das ist es doch, was ich gesucht habe! Das Besondere ! Was verlangen Sie dafür? Los, rücken Sie raus damit, Sie Geheimniskrämer! Ich bin auf alles gefasst, wir wissen doch beide, dass Sie ein Halsabschneider sind!“ Er lachte dröhnend und hieb Harry auf die Schulter, der das nicht bemerkte. Denn er starrte verblüfft auf das, was sich auf Carlys Töpferscheibe befand.

35. Was der Kormoran hörte
     

    Auf einer Eisscholle räkelten sich zwei Seehunde, der eine etwas größer als der andere. Einer spähte mit schräggelegtem Kopf in den Himmel, der andere beugte sich schnuppernd zum Wasser. An ihrer Position und den Schwanzflossen, die sich spielerisch und zärtlich zugleich berührten, sah man, dass sie einander sehr zugetan waren, langjährige Gefährten, so war anzunehmen. Ihre Form und Haltung war anmutig und gleichzeitig durch und durch heimelig seehündisch. Was aber an ihnen fesselte, waren ihre Gesichter: Verschmitzt und weise zugleich, lag eindeutig ein Augenzwinkern und ein Lächeln darin, jedoch ohne sie zu vermenschlichen.

    Harry öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Der Kunde schob sich

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