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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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war in keiner Weise störend, obwohl sie fast eine Fremde war, sondern beruhigend.
    Carly suchte nach Fragen. Merkwürdig, im Moment schien keine mehr so wichtig.
    „Stimmt es, dass du in Vater verliebt warst?“
    „Ja. Es stimmt. Du weißt selbst, dass Liebe nicht immer erlaubte Wege geht. Aber ich glaube nicht, dass er oder Nelia das je bemerkt haben. Ich habe ihnen keinen Anlass dazu gegeben. Ich hoffe es jedenfalls.“
    „Hat man ... hat man sie je gefunden?“
    Tante Alissa beerdigte die Muschel abwesend im Sand.
    „Wir haben lange auf Nachricht gewartet. Sehr lange. Ein Kajak wurde irgendwann an einem fernen südlicheren Ufer entdeckt. Nach Monaten teilten sie uns mit, dass man Nelia gefunden hat, auf einer unbewohnten Insel. Sie war zwischen die Mangrovenwurzeln gespült worden. Sie trug keine Schwimmweste.“
    „Aber sie hatte eine an, als sie losfuhren. Vater hat darauf bestanden, obwohl sie es nicht wollte, ich weiß es genau.“
    „Ja. Möglicherweise hat sie sie wieder ausgezogen. Sie hatte so eine empfindliche Haut. ‚Die Dinger scheuern so scheußlich’, sagte sie immer. Aber Kai trug seine mit Sicherheit, und ihm hat sie auch nichts genützt. Ihn hat man nie gefunden. Man sagte uns, zwischen den beiden Inseln, dort wo deine Eltern hinausgepaddelt sind, gäbe es eine gefährliche unsichtbare Strömung. Wer dort hineingezogen würde, der tauche sehr selten jemals wieder auf.“
    „Ist sie ... hat man sie dort beerdigt?“
    „Ja. Wir – ich – fand, sie sollte dort bleiben, in der Nähe deines Vaters. Es schien richtig.“
    „Dann ist es das“, sagte Myra entschieden.
    „Das glaube ich auch.“ Carly lehnte sich an Tante Alissa.
    Draußen auf der Buhne wachte der Kormoran.
    Von Westen näherte sich am Strand eine Gestalt. Gegen die Sonne, die schon den Horizont berührte, sah man nur die leicht gebeugte Silhouette.
    Carly setzte sich gerade.
    „Ist das Flömer?“, fragte sie ungläubig. Irgendwie hatte sie sich Flömer nie irgendwo anders als am Hafen vorgestellt. Was natürlich unsinnig war.
    „Tatsächlich. Flömer! Hallo!“ Myra winkte ihn heran.
    „Guten Abend, die Damen!“ Flömer lupfte seine lederne Schirmmütze. Erstaunt betrachtete Tante Alissa das Stück Kreide hinter seinem Ohr.
    „Flömer, das ist meine Tante Alissa“, stellte Carly vor. „Tante Alissa – ach, du hast das ja auf dem Blog gelesen.“
    „Ja. Guten Tag.“ Herzlich schüttelte Tante Alissa Flömers Hand. „Setzen Sie sich doch zu uns.“
    „Ja, setz dich. Du schnaufst.“ Myra klopfte einladend auf den Sand neben sich.
    „Natürlich schnaufe ich. Was erwartest du? Ich war schon Matrose auf See, als du noch Windeln trugst.“
    „Ich würde dich trotzdem vermissen.“

    Tante Alissa hörte nicht zu. Sie sah zu, wie die Sonne zu einem glühenden Funken schrumpfte und hinter die Welt fiel. Die Wolken färbten sich violett, orange, feuerrot und zartgrün.
    „Die wenigsten Menschen wissen, dass der Himmel erst nach Sonnenuntergang am buntesten wird“, meinte Myra. „Und dieses Grün, das gibt es nur hier. Die Touristen gehen immer schon, ehe sie ganz weg ist, und verpassen das Beste.“

    „Ich glaube, dass Marc hier ist. Marc und Nelia und Kai“, sagte Tante Alissa. „So nahe, wie ich sie in meinen Alpträumen gesehen habe, so spüre ich sie jetzt hier im Wasser, aber nicht traurig. Ich dachte immer, sie machen mir Vorwürfe, schreien um Hilfe. Hier und heute ist mir, als wollten sie mir etwas ganz anderes sagen.“
    „Wir haben einen Seestern gefunden. Die Wellen haben ihn uns vor die Füße geworfen, Ralph und mir. Dabei findet man die hier kaum. Erinnerst du dich, dass Vater uns an dem Tag einen mitbringen wollte?“
    „Und das Meer hat ihn euch in seinem Namen gebracht. Das Meer ist so ewig, da läuft die Zeit anders und da verschwimmt die Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen vergänglich und für immer. Hier ist sie nicht so wichtig, diese Grenze“, sagte Flömer seelenruhig.
    Deshalb wohl sehe ich Hennys Gesicht im Bernsteinschiff, dachte Carly.
    Die Nacht löschte die letzte Farbe aus den Wolken, nur ein weiches Glühen, ein Echo des Tages lag noch über dem Wasser.
    Für einen Moment glaubte Carly, einen großgewachsenen Mann zu sehen, der hinter Flömer stand. Der Wind frischte auf, zerrte an seinem Umhang und drückte ihm die Kapuze ins Gesicht, auf dem ein Lächeln lag.
    Doch es war wohl nur eine der krummen Kiefern auf der Düne gewesen, die in der klaren Luft und tiefen Dämmerung

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