Das Meer in deinem Namen
konnte und den sie nie gesehen hatte.
Malte Jensen räusperte sich. „Gut, gut. Dann trifft es Sie nicht persönlich, dass ich Ihnen mitteilen muss, dass Herr Grafunder tot aufgefunden wurde. Der kürzliche Sturm hat die Überreste zutage gefördert.“
„Frau Templin – alles in Ordnung? Soll ich Ihnen ein Wasser holen oder einen Schnaps?“, mischte sich Sven Hering ein. „Sie sind ja kalkweiß!“
„Nein, schon gut.“ Carly nahm hastig einen Schluck Tee, war dankbar dafür, dass sie sich dabei die Zunge verbrannte. Das war ein Schmerz, mit dem sie umgehen konnte.
„Was ist passiert?“
„Sie fragen sich sicher, warum wir zu Ihnen kommen. Nun, wir wussten, dass Herr Grafunder ein Testament in der Kanzlei Elbrink hinterlassen hatte. Aber solange er nur als vermisst galt, durften wir es nicht öffnen. Diese Sachlage hat sich nun geändert. Das Testament weist Frau Henrike Badonin als Alleinerbin aus. Nachkommen gibt es nicht, also wird auch niemand dieses Testament anfechten. Da jedoch Henrike Badonin ebenfalls verstorben ist, gilt nunmehr Herr Professor Thore Sjöberg als Erbe. Diesen haben wir telefonisch erreicht und er teilte uns mit, dass Sie ihn vor Ort vertreten. Er hat uns eine Vollmacht gefaxt und wir sind befugt, Ihnen ordnungsgemäß ein paar Dinge zu übergeben, die wir bei der Leiche gefunden haben.“
Carly versuchte, einen bitteren Geschmack herunterzuschlucken und den Ausführungen des Beamten zu folgen.
„Dinge.“
„Nicht viel. Eine Videokamera. Sie funktioniert nicht mehr, da sie monatelang im Freien lag. Ebenso eine Armbanduhr, ein Lederhut, eine Brieftasche und eine Halskette mit Anhänger. Alles in der Schachtel. Professor Sjöberg sagte, Sie können damit verfahren, wie Sie möchten. Und da es keine Angehörigen gibt, ist er bereit, für das Begräbnis aufzukommen. Sie möchten es bitte organisieren. Ach ja, und über den Seesack, den die ehemalige Vermieterin des Verstorbenen Ihnen bereits übergeben hat, können Sie nun natürlich auch verfügen.“
„Malte. Frau Templin wollte eigentlich wissen, was Herrn Grafunder zugestoßen ist. Wie und wo er gefunden wurde.“
„Ach so, ja. Wenn es Sie interessiert. Es ist, hm, ungewöhnlich. Sie wissen, das sogenannte Ahrenshooper Holz ist ein naturbelassener Urwald. Steht unter Naturschutz. Daher gibt es bei Sturm Windbruch; häufig stürzen morsche Äste ab. So auch dieses Mal. Der Förster fand bei dem üblichen Kontrollgang nach dem Unwetter die Überreste eines Menschen. Er muss in den Baum gestiegen sein, laut einer Notiz, die wir in seiner Brieftasche fanden, um Videoaufnahmen vom Vogelzug zu machen. Er hat sich dort oben mit einem Ledergürtel gesichert, um nicht abzustürzen. Da er fast ein Jahr dort oben auf dem Ast gelegen haben muss, konnte die Todesursache nicht mehr genau festgestellt werden. Der Gerichtsmediziner vermutet jedoch einen Herzinfarkt. Es gibt keine Hinweise auf Verletzungen oder andere Ursachen. Es handelt sich eindeutig um Joram Grafunder, wie anhand des Gebisses und des gut erhaltenen Ausweises festgestellt werden konnte.“
„In den Baumkronen haben wir damals natürlich nicht gesucht“, sagte Sven Hering leise.
„Natürlich nicht“, sagte Carly benommen.
„Wir wollen Sie nicht länger aufhalten.“ Malte Jensen stand auf. „Hier ist meine Karte. Sagen Sie dem Beerdigungsinstitut, sie sollen sich bei uns melden. Bleiben Sie sitzen, wir finden allein raus.“
Sven Hering reichte ihr die Hand.
„Können wir Sie allein lassen?“
„Ja. Ja, alles in Ordnung. Vielen Dank.“
Der Tee war alle, die Schritte der Polizisten längst in der Nacht verklungen. Die Stille war so dick, dass Carly es schwer fand zu atmen.
Sie hatte es gespürt, eigentlich von Anfang an. Dass Joram und Henny zusammen waren. Dass sie fort und gleichzeig anwesend waren, aber eben auf andere Weise.
Und doch hatte sie heimlich gehofft, dass alles ein Irrtum war und Joram Grafunder eines Tages mit einem Stück Treibholz in der Hand auf den Stufen von Naurulokki stehen und sie mit den Augen ansehen würde, die ihr aus Hennys Zeichnung entgegengeblickt hatten. Dass er lächeln und ihr von Henny erzählen würde und warum er nicht zu ihr zurückgekehrt war. Dass er Carly Dinge über Holz und Wildgänse lehren würde und ihr Mut machen, das zu tun, wovon sie neuerdings träumte.
Jedenfalls wusste sie jetzt, was sie an dem Wald so merkwürdig berührt hatte.
Langsam stand sie auf, nahm die Schachtel und ging hinauf in Hennys
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