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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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über einen Brackwassersee steuerte. Sie schätzte ihn auf knapp vierzig.
    „Carly Templin. Danke!“
    Sie betrachtete das Brett, wischte mit der Hand die Wurzelfasern und Lehmspuren ab. „Nauru... Naurulokki!“, las sie.
    „Das gehört da oben hin. Ist wohl ein Opfer des letzten Sturms geworden.“ Jakob Hellmond wies auf die beiden leeren Haken unter dem kleinen Schindeldach über der Pforte.
    „Und ich dachte, Naurulokki wäre ein Mensch. Oder ein Schiff oder ein Hund!“
    „Nein, Henny Badonin nannte seit ein paar Jahren das Haus so. Die meisten Häuser hier haben Namen. Soll ich das wieder aufhängen?“ Er untersuchte die rostigen Ketten. „Ich glaube, das hält noch.“
    „Warten Sie.“ Carly fuhr mit dem Finger die Buchstaben nach. Kleine Steine klemmten darin, und die Farbe in den Rillen war abgeblättert. „Ich möchte es erst saubermachen und neu streichen.“
    „Ziehen Sie hier ein?“
    „Nein, ich soll das Haus im Auftrag des Erben aufräumen.“ Vom Verkaufen mochte sie gerade nicht sprechen. Das Aufräumen kam ja schließlich zuerst.
    „Dann bring ich Ihnen das Schild hoch auf die Terrasse. Es ist schwer.“ Er schulterte das Brett und marschierte auf das Haus zu, stolperte. „Hoppla!“ Überrascht sah er nach unten. „Seit wann wachsen hier Zitronen?“
    „Entschuldigung. Die hab ich gerade gesucht.“ Carly schob das Fahrrad neben ihm her. „Kannten Sie Henny Badonin gut?“
    „Sie lebte sehr zurückgezogen. Wir haben uns gegrüßt, ein paar Worte gewechselt, mehr nicht. Aber meine Tochter hat sich bei ihr wohlgefühlt. Mit Kindern konnte sie wohl besser umgehen als mit Erwachsenen.“
    Er stieg nicht die Stufen zur Loggia hoch, sondern nahm den Pfad links daran vorbei, der auf die kleine Terrasse vor dem Küchenfenster führte. Dort legte er das Brett über die Armlehnen eines Stuhls.
    „Hier können Sie gut dran arbeiten“, sagte er. „Da unten ist die Kellertür“, er wies auf ein paar Stufen, die nach unten zu einer Holztür führten. „Mit Sicherheit finden Sie dort Farben, Pinsel und was Sie sonst noch benötigen. Sagen Sie einfach Bescheid, wenn Sie Hilfe brauchen!“
    „Wissen Sie, warum das Haus Naurulokki heißt?“, fragte Carly. „Synne sagte, das ist finnisch für Lachmöwe.“
    „Nein. Aber ich nehme an, Joram Grafunder hat das Schild gemacht. Vielleicht seine Idee. Er konnte Finnisch und Dänisch. Und er hat auch die Windbretter da oben geschnitzt.“ Er wies auf die gekreuzten Bretter am First. „Normalerweise sind da Pferdeköpfe üblich. Wenn sie nach außen blicken, sollen sie Gefahr vom Haus abweisen. Wenn sie sich anblicken, soll es das Glück einladen. Hier aber sind es Möwenköpfe.“
    Tatsächlich. In diesem Fall blickten sie nach außen in den graublauen Himmel. „Die Möwenköpfe an der Tür blicken sich an“, sagte Carly.
    „Na, dann klappt ja in diesem Haus hoffentlich beides“, meinte Jakob. „Bis dann.“ Er tippte sich an die Mütze.
    Schade, sie hätte seinem Bass noch lange zuhören können. Ob er Seemannsgarn spinnen konnte? Den Touristen Geschichten erzählte, gegen das Windbrausen an, mit dieser Stimme, in der ein unterschwelliges Beben und geheimnisvolles Donnern lag?

    Aber jetzt mussten die Einkäufe in den Kühlschrank. Carly ließ das Brett allein, trug ihre Tüten in die Loggia und suchte nach dem Hausschlüssel.
    „Hallo!“, rief da jemand am Tor, und kam auch schon herein. Der Briefträger. Dieser konnte offenbar Fahrrad fahren. „Ich hab hier was!“ Er wedelte mit einem dicken Umschlag. „Wohnen Sie jetzt hier? Sind Sie mit Frau Badonin verwandt?“
    „Ich nicht, aber mein Auftraggeber.“
    Carly nahm den Umschlag entgegen.
    „Das war ja ‘n ganz schöner Schock, als ich die Frau Badonin gefunden hab“, sagte er und lehnte sich an die baufällige Balustrade, bereit für ein Schwätzchen.
    Carly ließ fast den Schlüssel fallen.
    „Sie haben ...?“
    „Ja, ich hab sie entdeckt. Ich hab ihr oft die Post durch das Küchenfenster gereicht, wenn sie da drin arbeitete. Deswegen bin ich meist gleich auf die Terrasse gegangen. Sie hatte ja immer Farbe an den Händen, wenn sie malte, und mochte nicht zur Tür gehen und alles schmutzig machen. Aber an dem Tag saß sie draußen, im Stuhl. Es war so ein schöner Tag, Mai, alles grün und frisch, kein Tag zum Sterben.“ Er machte eine dramatische Pause, verschränkte die Arme vor der Brust. „Von hinten dachte ich, sie genießt die Sonne. Sie hatte sich zurückgelehnt. War

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