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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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Aufstellung für Thore machen. Was ein Internet-Tagebuch ist, würde er wohl nicht wissen. Das Wort Weblog war ja zum Teil von „Logbuch“ abgeleitet. Passte also ans Meer.

    Sie war stolz auf ihren tragbaren Computer. Wo hatte sie ihn nur gelassen? Ach ja, noch im Koffer, oben. Noch nicht viele hatten so einen. Dafür hatte sie lange von ihrem Lohn gespart. Und, oh Wunder, sie hatte tatsächlich einen modernen Telefonanschluss in Hennys Wohnzimmer entdeckt. Eine Dreiersteckdose; eine davon passte für ihr Modemkabel. Offenbar hatte Henny die Steckdose kürzlich austauschen lassen. Wahrscheinlich hatte es aber eher am Telefonapparat gelegen, denn der war eindeutig kaputt.
    Ehe sie zu schreiben anfing, brauchte sie erst einen Tee, um all das Gehörte zu verdauen. Während der alte Kessel zu summen begann, fiel ihr Blick auf eine Muschelschale, die auf dem Regal zwischen den Gläsern lag. Seltsame wurmförmige Muster aus Kalk zogen sich darüber wie geheimnisvolle Schrift. Carly zog sie vorsichtig mit dem Finger nach. Das war also das Letzte, was Henny Badonin berührt hatte. Eine ungewöhnlich große Miesmuschel, blau schimmernd. Ein Geschenk von Joram? Suchend sah sie sich um, aber es lag kein Zettel dabei. Natürlich nicht; jemand musste Henny die Muschel ja aus der Hand genommen und hier abgelegt haben. Der Arzt sicherlich. Was sie Henny wohl bedeutet hatte?
    Carly trank ihren Tee draußen auf den Stufen. Nachmittägliche Ruhe hatte sich über den Garten gelegt, der mitleiderregend verwildert aussah. Ich müsste den Rasen mähen, dachte sie. Aber nach all den Geschichten hatte sie nicht wirklich Lust, in einem fremden Keller nach dem Rasenmäher zu suchen. Dann doch lieber der Computer.
    Auf halber Treppe nach oben fiel ihr ein Bild an der Wand auf. Eine Kohlezeichnung, mit einem Hauch blauer Kreide ergänzt. Sie zeigte einen Leuchtturm in den Dünen, mit angedeuteten Möwen drum herum. Und Wind. Schwer zu sagen, woran man den Wind erkannte, aber man sah ihn, hörte ihn. Ja, da war die Leichtigkeit und das Leuchten, von dem Synne gesprochen hatte. Und unten in der rechten Ecke der Buchstabe H. Durch den oberen Raum im H flog eine stilisierte Möwe.
    Carly träumte sich in das Bild, an den Fuß des Leuchtturms, da hörte sie das Geräusch. Es kam von oben, aus dem Zimmer, in dem sie geschlafen hatte. Ein Klirren, dann ein Poltern.
    Sie erstarrte, klammerte sich mit plötzlich weichen Knien an das Treppengeländer und versuchte, sich zu erinnern, ob sie das Küchenfenster geschlossen hatte, bevor sie einkaufen ging.
    Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie allein sie mit dem Haus war. Und jetzt? Sollte sie nach draußen schleichen und bei Jakob Hellmond Hilfe holen?

Henny
1953

10. Das Haus und die Träume
     

    Henny lag wach in ihrem Bett und sah den Morgen über den Horizont schleichen. Sie war zu glücklich, um wieder einzuschlafen. Verträumt betrachtete sie das alte Gemälde an der Wand, das sie schon als Kind geliebt hatte. Ihre Oma Matilda hatte es einst geerbt. Es zeigte den Leuchtturm, der in alten Zeiten auf einer vorgelagerten kleinen Insel gestanden haben sollte und der 1852 in einer Sturmflut zerstört wurde. Das Bild war mit „Cord Kreyhenibbe, 1849“ signiert. Hennys Urgroßvater. Sie hatte noch drei andere Werke von ihm in der Gegend ausfindig machen können, aber sie standen alle nicht zum Verkauf. Cord Kreyhenibbe war 1825 geboren worden. Er war Fischer und Maler und hatte sogar ein paar Jahre als Lehrer im bekannten Künstlerhaus Lucas gearbeitet. Aus dessen Archiv hatte Henny diese leider spärlichen Informationen.
    Über dem Leuchtturm stand der fast volle Mond am Himmel und beleuchtete gespenstische Brecher, die gegen eine Seite des Turms peitschten, als habe der Maler gewusst, dass die See den Turm mitsamt der Insel drei Jahre später verschlingen würde. Ein Boot war an der Treppe zum Turm vertäut und oben auf der Treppe war die Silhouette eines Mannes in einem wehenden Umhang zu sehen. Das Boot sah nicht sehr vertrauenerweckend aus, aber als Kind war Henny in ihrer Phantasie mit ihm auf manches Abenteuer gefahren. Sie liebte die Dunkelheit mit ihren Rätseln. Alle Formen und Gestalten sahen dann anders aus; aus krummen Kiefern wurden Riesen und Feen, aus den Dünen Wüsten oder Gebirge. Sie segelte und ruderte durch alle Landschaften, die sie sich ausmalen konnte, und manchmal fuhr der Mann im Umhang mit ihr; meist saß er am Steuer, denn Henny hielt sich lieber am Bug auf um zu sehen,

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