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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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aber ungewöhnlich für sie, nur so dazusitzen. Ich hab Hallo! gesagt, wollte sie ja nicht erschrecken. Aber sie hat nicht geantwortet. Na gut, schläft sie also, dachte ich, und wollte die Post leise auf den Tisch legen. Und dann hab ich’s gemerkt. Sie hatte die Augen offen, und sie guckte in die Wolken. So kleine helle Schäfchenwolken waren das, an dem Tag. Solche hat sie oft gemalt. Und sie sah auch aus, als ob sie irgendetwas Bestimmtes gesehen hätte. Aber wer oder was immer das war, es war nicht mehr aus dieser Welt.“
    Er schwieg.
    Carly stand immer noch mit dem Schlüssel und dem Umschlag da, sah ganz deutlich vor sich, was er beschrieb.
    „Ich hab sie angefasst, sie war eiskalt. Dann hab ich den Arzt gerufen. Bin bei ihr geblieben, bis der kam, es kam mir unanständig vor, sie allein zu lassen. Sie hatte eine Muschelschale in der Hand, mit so Spuren von Röhrenwürmern drauf, aus Kalk – sah fast aus wie eine Schrift.“
    Er schwieg.
    Carly gab sich einen Ruck. „Möchten Sie einen Tee?“
    „Nee, muss weiter. Aber ein Wasser vielleicht?“
    „Klar, Moment.“
    Sie schloss endlich auf, brachte die Tüten in die Küche und kam mit einem Glas zurück.
    „Wissense“, sagte er, „ich glaube, ohne den Herrn Grafunder war sie nicht mehr glücklich. Nicht so richtig zuhause auf der Welt. Hamse schon gehört, was mit dem passiert ist?“
    „Ich dachte, das weiß man nicht.“
    Er blickte geheimnisvoll in das grüne Glas.
    „Stimmt. Der ist angeblich ins Ahrenshooper Holz gegangen und wurde nie wieder gesehen. Wie der Maler damals, vor Jahrzehnten. Aber ich glaub das nicht. Ein Schiffer hat mir erzählt, er hätte den noch im Hafen gesehen. Und ein Kapitän meinte, er hätte ungefähr zu der Zeit einen Fremden mitgenommen. Der wollte nach Dänemark, hat aber kaum ein Wort gesprochen. Ich könnt mir vorstellen, der ist einfach abgehauen. Hatte immer eine Schwäche für Skandinavien. Hier wollten alle seine Sachen kaufen, haben ihm Druck gemacht. Dabei war er noch ungeselliger als die Frau Badonin. Ich denk, der wollte weg, ohne Worte drüber zu machen. So wie die, die Zigaretten holen gehen ...“
    „Meinen Sie denn, der hätte Frau Badonin einfach alleine gelassen?“
    „Dem trau ich alles zu, so finster wie der manchmal geguckt hat. Brummig war der. Und die waren ja kein Liebespaar oder so. Glaub ich. Aber richtig verwunden hat die das nicht. Stand immer am Gartentor und hat geguckt. Hat mich gefragt, ob kein Brief dabei ist.“
    „Ich habe eine Notiz gefunden. Sie glaubte, er lebt noch.“
    „Sag ich doch. Der lebt noch, bloß woanders. Hatte immer diesen Blick, als wollte er eigentlich weit weg sein. Ist leicht, zu verschwinden, wenn ein Hafen in der Nähe ist.“
    Irgendwo in der Nähe erklang plötzlich das heisere, hallende Geräusch, das Carly schon in der Nacht gehört hatte. Diesmal war es noch lauter. Sie zuckte zusammen.
    Der Briefträger lachte.
    „Das sind nur die Hirsche! Da sind auch welche einsam, suchen die Weibchen. Brunftzeit. Sie sind wohl aus der Stadt, oder? Gehnse mal essen unten, im Café Namenlos. Schmecken gut, unsere Hirsche. Nu muss ich aber los!“ Er reichte ihr das Glas. „Schönen Tach noch!“

    In dem Umschlag war der Katalog einer Firma für Farben, Kreiden, Pinsel und dergleichen. Nachdenklich räumte Carly die Einkäufe weg, machte sich ein Müsli. Sie kratzte gerade den Teller leer, als ihr Handy klingelte.
    Als sie abhob, klangen ihr blechern vertraute Töne entgegen. „ Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft ...!“
    „Ich wollte bloß, dass du mal hörst, wo du hingehörst!“, sagte Orje, als das Lied zu Ende war. „Friederike lässt grüßen. Wie geht’s dir da oben?“
    Seine Stimme wurde abwechselnd lauter und leiser, wie das Meer in der Ferne.
    „Der Empfang ist schlecht hier!“
    „Was sagst du?“
    „Der Empfang ...!“, brüllte Carly in das winzige Mikrofon, dem der Wind zu groß war.
    „Dann schreib mir ... E-Mail ... oder ... Weblog!“, hörte sie gerade noch, ehe das Gespräch weg war.
    Gute Idee. Das würde ihr vielleicht auch helfen, ihre Gedanken zu sortieren.
    „... wo du hingehörst ...“, hatte Orje gesagt.
    Berlin! Carly konnte sich die Stadt gerade kaum vorstellen. Lärm, graue Häuser, viele eilige Menschen, Gestank. Es schien absurd.
    Sie würde ein Weblog schreiben, oder „Blog“ wie es neuerdings genannt wurde. Darin konnte sie alles notieren, was sie erfuhr, auch was das Inventar anging. Daraus konnte sie dann eine

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