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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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wenn ich dem Meer zu nahe komme und mit ihm den Erinnerungen. Seit dem Sonnenaufgang am Strand ist alles in Bewegung gekommen, ist flüssig und leicht um mich herum. Es macht mir immer noch Angst, aber es ist auch ein wildes Glück, ein Triumph, eine Neugier, die überall hin will. Ich möchte auf ein Boot, ich möchte sogar schwimmen gehen, aber das geht noch nicht, das ist zu viel.
    Jetzt muss ich mich erst um Naurulokki kümmern. Übermorgen kommt der Interessent, und es graut mir schon davor, einem Fremden das Haus anpreisen zu müssen. Auch wenn ich hier nur Gast bin, aber diesen Moment der ersten Begegnung mit dem Meer, mit den Stimmen meiner Eltern, das werde ich für immer mit Naurulokki und diesem Land hier in Verbindung bringen. Das Meer wird mich für immer an dieses Haus und seine Geschichten, an Henny und ihre Bilder, an Joram und seine Westentaschenharke erinnern und an das verlorene Lachen von Valli, das in Anna-Lisa lebendig ist.“
    Draußen schwieg eine inzwischen windstille Nacht. Das schläfrige Rauschen der Wellen klang nicht mehr so fern wie noch gestern. Die Sommersternbilder leuchteten klar: Schwan, Adler und Drache flogen über dem Haupt des Herkules. Das Sommerdreieck war vollständig, ungetrübt von Wolken: Deneb, Wega und Atair standen hell über dem First von Naurulokki.

    Carly hinterließ eine Flasche Wasser, einen Apfel und eine Schachtel Kekse in Orjes Zelt, das noch immer leer war.
    Sie war froh, dass Synne ihm gefiel. Wie sehr sie Orjes unausgesprochene Hoffnungen mit der Zeit belastet hatten, bemerkte sie erst jetzt. Anscheinend hatte sie Tante Alissas Gewohnheit, Probleme unter den Teppich zu kehren, direkt übernommen. Es war ja auch so praktisch.
    Als Freund aber war er unverzichtbar.

    Mit dem ersten Licht wachte sie auf, wünschte den Schwalben auf dem Bild einen guten Morgen und schlüpfte eilig in das Kleid von gestern.
    Der Reißverschluss von Orjes Zelt war geschlossen. Dahinter klang ein leises Schnarchen.
    Sie war schon fast am Deich, als sie bemerkte, dass sie ihre Schuhe wieder einmal vergessen hatte. Aber was machte das hier! Dieser Erde konnte sie gar nicht nahe genug sein, und hier war sie sauber. Es türmten sich keine Hundehaufen, keine Zigarettenkippen, keine leeren Dosen oder kaputten Bierflaschen.
    Nicht einmal ihre Angst lag ihr mehr im Weg.
    Ein Dunstschleier füllte den Morgen, verwischte den Übergang zwischen Himmel und Meer und zauberte ein weiches Licht, das die Landschaft Hennys Bildern ähnlich machte. Carly lief am Flutsaum entlang, fing an zu rennen, immer noch mit einem inneren Beben, von dem sie nicht wusste, wie viel davon Angst war und wie viel Glück. Silbern stob das Wasser unter ihren Schritten auf.

    Orje deckte auf der Terrasse den Frühstückstisch, als sie sich durch das Treibholztor einließ. Zufrieden betrachtete er den nassen Saum ihres Kleides.
    „Hier, hab ich dir mitgebracht.“ Sie steckte ihm etwas in die Tasche seines Hemdes: keine Harke, sondern eine große weiße Muschel, die einen Streifen in den Farben des gestrigen Sonnenaufgangs trug.
    „Danke!“
    „Nein. Ich wollte dir danke sage. Du hast mir das Meer geschenkt – und noch so einiges andere.“
    Er sah ihr in die Augen.
    „Und dank dir habe ich Synne kennengelernt. Wir haben bis zum Morgen geredet. Ich weiß nicht, was daraus wird, aber etwas ist – anders. Neu.“
    „Du glaubst nicht, wie mich das freut.“
    „Und Jakob?“, fragte Orje.
    Carly dachte an den leisen Donner in Jakobs Stimme, dem sie ewig zuhören konnte, und daran, wie richtig sich seine Mütze auf ihrem Kopf anfühlte.
    „Vielleicht“, sagte sie.
    „Sagte Oma Jule nicht, am Meer findet man mehr, als man denkt?“
    Sie hielten sich eine Weile fest. Es war ein Abschied und ein Neuanfang.
    „Lass uns frühstücken“, sagte Orje schließlich etwas heiser. „Und zieh dir vorher etwas Trockenes an!“
    „Du wirst wohl nie aufhören, auf mich aufzupassen, was?“
    „Worauf du dich verlassen kannst!“
    Sie lief zurück und gab ihm einen Kuss. Jetzt konnte sie es.
    „Dem Himmel sei Dank!“

    Die Meeresluft machte erstaunlichen Appetit. Gerade wollte sie in ihr Brot mit der duftenden Sanddornmarmelade beißen, die Daniel ihr mitgebracht hatte, als in der Küche ihr Handy klingelte. Hastig stieg sie durch das offene Fenster. Vielleicht meldete sich Thore endlich! Sie wollte ihm so dringend erzählen, dass sie am Meer gewesen war.
    Ohne ihn wäre sie nie hierhergekommen. Unvorstellbar!
    Doch als sie

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