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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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Finger. Am Ende lag der Himmel.
    Zwischen den Planken sah Carly bei jedem Schritt den Abgrund und das Meer.
    „Sieh nicht nach unten! Guck nach vorne!“, sagte Orje.
    Anna-Lisa war fröhlich vorausgelaufen, ihre Schritte hallten auf dem Holz.
    Carly konzentrierte sich auf die Wolken. Eine sah aus wie eine Schildkröte, die bald von einem galoppierenden Fohlen überholt wurde. Der Wind frischte auf, zerrte an ihren Locken. Sie wünschte, sie hätte Jakobs Mütze aufgesetzt. Kälter wurde es auch, und das Licht heller, es blendete fast. Rund um sie herum glitzerten und plätscherten die Wellen, ein Chor gespiegelter Sonnenstrahlen.
    Orje nahm sie bei der Hand. Sie versuchte, ruhiger zu atmen. Die Luft roch so frisch, schmeckte salziger, freier, ganz anders, machte gierig, immer mehr und tiefer davon zu kosten.
    Dann war der ungewöhnliche Weg zu Ende. Endete an einer beruhigend soliden hölzernen Reling, an der Anna-Lisa und andere Menschen lehnten und sich an der Weite nicht sattsehen konnten.
    „Dreh dich um“, sagte Orje.
    Fern, erstaunlich fern lag das Land hinter ihnen. Der Strand nur ein heller Streifen, die Menschen hektische Ameisen und die Häuser Perlen hinter der Dünenkette. Davor das Meer, nur Meer.
    Sie standen mitten im Meer, aber darüber, und Carly fühlte sich gleichzeitig unsicher und großartig.
    „So ähnlich muss es für eine junge Schwalbe sein, wenn sie zum ersten Mal fliegt“, sagte sie und streckte in ihrem Übermut die Arme zum Himmel. Sofort war sie von einem Schwarm kreischender Möwen umringt.
    „Die denken, du willst sie füttern“, sagte Anna-Lisa lachend.
    „Hier!“ Orje steckte Carly zwei Kekse zu. Sie warf einen Krümel nach dem anderen in den Wind und staunte, wie geschickt die Möwen sie im Flug fingen.
    „Wenn Henny hier wäre, würde ich sie bitten, mir ein Bild davon zu malen“, sagte sie. „Von dem Weg, der in den Himmel zeigt. Von der Brücke, die zu den Möwen führt. Von diesem Tag, der auch eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft ist.“
    „Wer weiß. Vielleicht findest du noch eins“, meinte Orje. „Komm, dir ist kalt. Wir suchen uns was zu essen.“
    Der Weg zurück war viel kürzer. Auf Anna-Lisas Wunsch entschieden sie sich für Pizza statt Fisch, und Orje spendierte Carly hinterher an einem Stand noch eine eingelegte Gurke, „weil das ist wie früher am Grunewaldsee, weißt du noch ...?“

    Als sie Friederike ausgeladen hatten, stellten sie fest, dass die Seebrücke inzwischen gesperrt war, weil dort das Feuerwerk für den Abend aufgebaut wurde. Aber sie fanden eine geeignete Stelle in der Nähe, am Rande eines runden Platzes.
    Kurze Zeit später kam ein offiziell aussehender Mann auf sie zu.
    „Haben Sie dafür eine Genehmigung?“
    Anna-Lisa blickte erschrocken, aber Orje fischte gelassen ein Papier aus seiner Tasche.
    „Alles klar“, sagte der Ordnungshüter und verkrümelte sich.
    Orje spielte „Mackie Messer“ und „Freut Euch des Lebens“ und „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“ . Die Töne trotzten dem Wind, fanden ihren Weg in die Gedanken der Menschen und trugen einen Schwung in ihre Schritte.
    „Viel geben die aber nicht dafür“, stellte Anna-Lisa beim Blick auf die wenigen Münzen fest.
    „Findest du? Sieh in ihre Gesichter“, sagte Orje gelassen.
    „Sie lächeln. Ganz viele freuen sich. Als ob sie an was Schönes denken.“
    „Siehste.“
    Anna-Lisa beugte sich vor und sah ihn fragend an.
    „Du sammelst das Lächeln, oder?“
    Er zog sie an einer weißblonden Strähne.
    „Sozusagen.“

    Ein Mann blieb vor ihnen stehen, zog nachdenklich an seiner Pfeife und wies dann mit dem Stiel auf Friederike.
    „Das ist eine Bagicalupo, oder?“
    Orje hörte auf zu spielen.
    „Sie kennen sich aus?“
    „Mein Großvater hatte eine. Sagen Sie, sind Sie interessiert an einer Walze? Ich habe eine mit Shantys zu verkaufen. Die passen besser hierher als Ihr Bolle.“
    „Warum wollen Sie die verkaufen?“
    Der Mann reichte ihm die Hand.
    „Henning Weritz, übrigens. Die dazugehörige Orgel wurde bei einem Scheunenbrand vernichtet. Die Walzen waren im Haus. Die anderen habe ich schon vor Jahren verkauft, aber der, der sie nahm, hatte kein Interesse an Shantys.“
    Carly sah das Leuchten in Orjes Augen.
    „Ich müsste sie mir ansehen“, sagte er.
    „Selbstverständlich. Sie ist in gutem Zustand. Hören Sie, ich will kein Vermögen daran verdienen. Ich fände es schön, wenn sie wieder gespielt wird. Kommen Sie auf dem Rückweg

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