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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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festgehalten mitsamt den lachenden Gesichtern, dem Duft nach Salz und Gras und Kräutern, mit dem Leuchten der späten Pusteblumen in der Dämmerung. Und mit den Stimmen. Orje hatte angefangen zu singen, Synne stimmte ein und Jakob fügte seinen Bass hinzu, in dem so ein wunderbares Grollen lag. Carly liebte Gewitter; wenn sie Jakob zuhörte, hatte sie stets das Gefühl, eines stünde tief und bereit am Augusthimmel.

    „Unser Schiff gleitet stolz
durch die schäumenden Wellen.
Es strafft der Wind
unsre Segel mit Macht.
Seht ihr hoch droben
die Fahne sich wenden ...“

    Carly dachte an morgen. Wenn sie sich nicht mit Jakob und Orje auf ein Boot wagte, das noch nicht einmal auf dem Meer, sondern nur auf dem Bodden fuhr, dann würde sie sich nie trauen. Kneifen galt nicht. Mit etwas Glück würde sich die besungene „Macht des Windes“ morgen in Grenzen halten.
    Wohin sich aber ihre Fahne wenden würde, wenn ihr kurzer Aufenthalt hier vorbei war, blieb dann trotzdem offen.

    Peer und Paul waren in ihrer Begeisterung hier zu sein so lieb zu Anna-Lisa, dass diese über ihre Schwärmerei für Orje fast hinweggetröstet wurde. Carly beobachtete halb besorgt, halb belustigt, wie sie dem Thoreschen Charme ebenso rasch erlag wie einst Carly selbst. Wie hätte Anna-Lisa auch eine Chance gegen die doppelte Ausführung haben sollen?
    Zufrieden mit sich selbst und müde von der Seeluft waren die drei ziemlich leicht ins Bett zu bekommen. Orje und Synne verkrümelten sich schon vorher. Jakob betrachtete Carly fragend.
    „Auch müde – oder noch Lust auf den kleinen Ausflug?“
    „Müde – aber zu neugierig, um nein zu sagen.“
    Wenn die Zeit schon wegfliegt wie die Schwalben, will ich sie wenigstens ausnutzen, dachte sie.
    Er fädelte sich durch den dichten Verkehr auf der einzigen, schlecht beleuchteten Hauptstraße, an den kleinen Dörfern Born und Wieck vorbei, bog irgendwo auf einen stockdunklen Pfad ab. Vor einem Sperrschild ließ er den Wagen stehen und stieg aus.
    „Komm! Und pass auf, wo du hin trittst.“
    Er hatte eine erstaunlich helle Taschenlampe mit, die den schmalen Sandpfad, der mitten durch den Wald führte, einigermaßen beleuchtete. Als sie stolperte, nahm er ihre Hand. Kurze Zeit später blieb sie erschrocken stehen, als das Röhren eines Hirschs durch die Bäume hallte.
    „Das war längst nicht so nahe, wie es klang. Außerdem haben die Angst vor uns“, erklärte Jakob. „Aber es wirkt immer wieder beeindruckend.“
    „Überraschend. Aber ich mag es, seit ich weiß, was es ist. Es ist, als ob das Land eine Stimme hat. Oder vielleicht auch nur der Herbst.“
    Er zog anerkennend an ihrem Mützenschirm.
    „Ich glaube, du gehörst schon halb hierher.“
    „Morgen kommt der Herr Schnug“, sagte sie halb zu sich selbst.
    „Vergiss den Herrn Schnug. Wir sind gleich da. Wie spät ist es?“
    Carly entzifferte ihre Uhr.
    „Dreiundzwanzig Uhr zwanzig. Warum?“
    „Perfekt. Komm!“ Ungeduldig zog er sie einen Abhang hoch. Die krummen Kiefern hörten auf, jetzt standen sie oben auf einer Düne. Der Wind schlug ihr die Haare ins Gesicht, ungeduldig steckte sie sie unter der Mütze fest. Vor ihnen rollten weiße Brandungsstreifen auf sie zu. Von links kreiselte ein breiter Lichtstrahl über das Wasser heran, beleuchtete für einen Augenblick Jakobs Umriss in seinem dicken Fischerpullover, dessen Fusseln silbern aufglänzten, und wanderte weiter in den Wald.
    „Der Leuchtturm am Darßer Ort“, erklärte Jakob. „Der ist jetzt ganz nahe, wir stehen östlich davon. Und dort ist die Seebrücke, siehst du?“
    In der Ferne ragte sie ins schimmernde Wasser wie ein knochiger Finger der Küste, erkennbar nur durch die Laternen, die an ihr befestigt waren. Heute Morgen hatte sie Carly noch Angst gemacht, jetzt war sie eine alte Freundin.
    „Pass auf, gleich geht es los!“ Jakob legte, wie Thore so oft, einen kameradschaftlichen Arm um ihre Schultern. Er bot durch seine Größe einen hervorragenden Windschutz, was in Thores Fall nicht funktioniert hätte. Carly brachte es fertig, nicht zusammenzuzucken, obwohl sie aufgrund dieser vertrauten Geste eine scharfe Sehnsucht nach Thore unvermittelt in den Magen traf. Jakob schien es zu spüren und nahm den Arm wieder fort, um damit in die Ferne zu zeigen.
    „Schau, die Fähre!“
    Hell erleuchtet zog das riesige Schiff am Horizont entlang wie eine Erscheinung.
    Und dann knallte es, die Wellen glühten erst tiefrot, dann grün auf. Gleichzeitig setzte

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