Das Meer in deinen Augen
gelegen, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Also stellte er einen Waschgang ein und vertraute darauf, dass es schon gelingen würde.
Oben im Zimmer fing jetzt die wahre Herausforderung an. Die Regale waren vollgestopft mit Dingen, die er seit Jahren nicht angerührt hatte. Ein BMW -Modell 1:20 in limitierter Edition. Benjamin fragte sich, wo die anderen 99 Modelle standen. Wahrscheinlich in den Büros irgendwelcher Manager, wo sie genauso wenig Beachtung fanden. Er nahm das Modell und ließ es in den Wäschekorb fallen, den er von unten mitgebracht hatte. Ein Seitenspiegel brach ab.
Einen Stapel alter Autobild-Zeitungen und zwei Bildbände warf er ebenso weg. Viel mehr war da nicht. Schulbücher, die er seit einem Jahr nicht angefasst hatte. Ein Stapel eingeschweißter Hardrock-Café T-Shirts, die er in Paris, London und New York gekauft hatte. Warum sammelte man diesen Scheiß nur? Sie landeten auch auf dem Müllberg. Auf dem obersten Regalbrett standen eine Reihe silbern und golden glänzender Pokale gewonnener Golfturniere. Die Siege bedeuteten ihm nichts mehr. Jetzt hielt er die Trophäen in der Hand und sah sein verschwommenes Spiegelbild, das durch die konvexe Form verzerrt wurde. »Warum wirfst du das alles weg?«
Benjamin fuhr herum und sah seine Schwester vor sich stehen. Sie hielt das Hardrock-Café- Shirt in der Hand und starrte ihn entgeistert an. »Keine Ahnung. Ich räume auf.«
Sie zog die Stirn kraus. »Du spinnst doch seit …« Den Satz beendete sie nicht, sondern errötete. Benjamin ließ es kalt.
»Du kannst haben, was du willst … hier!« Er drückte ihr die Shirts in die Hand. Die Folie knisterte.
»Sind dir bestimmt zu groß«, fügte er hinzu, dachte aber sogleich daran, dass es wohl keine Rolle spielte. Wortlos verschwand sie in ihr Zimmer.
Benjamin suchte sein inzwischen fast vollständig ausgeräumtes Regal ab. Waren Regale nicht immer mit Erinnerungen gefüllt? Bücher, die man mal gelesen hatte. Fotos von Momenten, die man festhalten wollte. Benjamin wollte sein Leben aufräumen, aber was gab es da schon zu räumen? Leer, leer wie das Regal – das war sein Leben. Schließlich fiel ihm doch etwas auf, das kurz ein Gefühl in ihm weckte. Ein Stein in der Form eines Herzens, den Jenny ihm geschenkt hatte, als sie eine Woche zusammen waren. Sie hatten mit Freunden den Tag am Badesee verbracht. »Sieh nur, was für ein Zufall«, hatte sie bemerkt und ihm den Stein auf den nackten Bauch gelegt. Die Sonne hatte ihn erhitzt, sodass er auf der Haut glühte. Das war vor einem Jahr gewesen. Jetzt fühlte sich das Herz kalt an. Dumpf schlug es auf dem Dach des BMW -Modells auf und zerschlug die Frontscheibe.
Nach einer Stunde ging Benjamin mit dem vollen Wäschekorb zu den Mülltonnen und stürzte den Inhalt hinein. Seinen Vater beachtete er nicht. Der parkte gerade den Z4 neben ihm in der Auffahrt. »Räumst du auf?«, fragte er, als er hinter ihm stand und auf den Berg schaute, der aus der Tonne ragte. Er nahm das BMW -Modell auf und drehte es hin und her, um es schließlich fallen zu lassen. Den Deckel schlug er demonstrativ heftig zu, rieb sich die Hände und setzte eine zufriedene Miene auf. »Du siehst besser aus«, stellte er ganz beiläufig fest und klopfte ihm auf die Schulter. Dann verschwand er und ließ Benjamin stehen.
Die Wäsche war inzwischen fertig. Der erste Pullover, den er aus der Trommel zog, war auf die halbe Größe zusammengeschrumpft. Er hatte wohl doch die falsche Einstellung gewählt.
12
Der Ventilator rauschte. Sonst war es still. Emma hatte die Jalousien heruntergelassen. Trotzdem war es unerträglich heiß in dem Zimmer, in das nur wenig Sonnenstrahlen fielen. Nur das kalte weiße Licht des Computerbildschirms warf Schatten in ihrem Gesicht. Klick. Sie hatte mit dem Cursor das Suche-Feld ausgewählt. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, Facebook nicht mehr zu öffnen. Sie wusste, welche Kommentare ihr dort begegnen würden. Lukas Profil war wahrscheinlich längst gelöscht. Bevor sie weiter zögern konnte, hatte sie das Lesezeichen angeklickt und die Seite öffnete sich.
72 Benachrichtigungen und fünf neue Nachrichten. Auf ihre Pinnwand hatten auch einige geschrieben. Ich hoffe, du stehst das durch, ich denke an dich. Meld dich, wenn du Hilfe brauchst. Der Beitrag stammte von Melina. Ein dickes Mädchen mit Brille, das im Klassenzimmer ganz vorne saß und nie ein Wort mit ihr gewechselt hatte. 13 Personen gefiel der Eintrag. Emma scrollte runter und fand
Weitere Kostenlose Bücher